
Der Tag, an dem wir den Euro nach Jermuk brachten
Jermuk liegt in Armenien zwischen dem Sewansee und Yerevan. Bekannt ist der Ort für sein Mineralwasser, das man fast im gesamten Kaukasus trinken kann. Es gibt natürlich auch andere Getränke vor Ort. Und für die benötigt man Cash. Aber von Anfang an:
Das erste Mal waren wir im Jahr 2007 in Jermuk. Einem ehemaligen sowjetischen Luftkurort, in dem gerüchteweise ein paar Jahrzehnte zuvor der Diktator Stalin im ersten Haus am Platz genächtigt hatte. Wir hingegen waren im „First House of Recreation“ einem „sleazy soviet sanatorium“, wie der Lonely Planet die anderen ehemaligen Sanatorien auch nannte, untergebracht. Wir, das war eine Gruppe junger Liberaler, die für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Workshops mit Jugendorganisationen – von AIESEC bis zu den Jugendorganisationen diverser politischer Parteien – gehalten hab, um für demokratische Strukturen zu werben und Fähigkeiten zu schulen.
Üblicherweise holten wir uns am ersten Tag für das jeweilige Land die lokale Währung am nächsten Geldautomaten. So hatte es zumindest vorher in Aserbaidschan und Georgien funktioniert und so war zumindest der Plan auch in Jermuk. Nachdem wir keinen Geldautomaten gefunden hatten, fragten wir einen Taxifahrer um Rat. Der bot freundlicherweise an, uns die 40km bis zum nächsten Geldautomat zu fahren, was wir aber höflich ablehnten. Ein Blick in unsere Geldbörsen ergab, dass wir nur noch eine sehr begrenzte Menge US-Dollar dabei hatten, aber noch genügend Euro.
Also ging es in einen Minimarket/Tante-Emma-Laden mit grandios guten Oliven, an die sich der aktuelle JuLi-Bundesvorsitzende wahrscheinlich noch heute freudig zurückerinnern wird. Dort versuchten wir den Ladenbesitzer zu überzeugen, diese komischen Banknoten mit dem € drauf zu akzeptieren. Dank der Übersetzungsleistung einer armenischen Freundin tat er das dann auch, wenn auch skeptisch und etwas widerwillig. Gekauft wurden ein Kasten Bier, ein paar Softdrinks, ein wenig Wodka und viele Oliven. Der Gegenwert in Euro war bei normalen Wechselkurs so gering, dass wir dem Händler einen verdammt guten Euro-Kurs gemacht haben.
Als wir am nächsten Tag wieder kamen, hatte er zwischendrin wohl geprüft, was diese komische bunte neue Währung wert war und war mit unserem Wechselkurs mehr als zufrieden. Wir haben in der Woche noch drei Mal bei ihm eingekauft und am letzten Tag verabschiedete er uns, in dem er uns ein „langes und gesegnetes Leben“ wünschte.
So haben junge Liberale den Euro nach Jermuk gebracht, nachdem wir einen Umweg fahren mussten, um nicht in die rituelle Aufrechterhaltung des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien zu kommen. Das ist allerdings – genau wie die Granathülsen auf dem Parkplatz unseres Autos in Gori – eine andere Geschichte.
In loser Folge möchte ich über kuriose und besondere Momente (positiv wie negativ) in inzwischen fast 20 Jahren Politik berichten. Beginnen möchte ich mit einer der witzigeren Geschichten aus dem Jahr 2001. Spoiler: Es wird eine „Opa-erzählt-vom-Krieg“-Geschichte, aber das dürfte in dieser Rubrik fast immer der Fall sein.

TTIP-Großdemo schränkt Meinungsfreiheit ein
Anlässlich der Diskussionen und Demonstrationen zu TTIP und CETA in Frankfurt am Main zeigen sich die Freien Demokraten enttäuscht über das dort vorhandene Diskussionsklima: Gemeinsam wollten die FDP Hessen und die FDP Frankfurt getreu dem Motto „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ in der Nähe der Frankfurter Großdemonstration einen Diskussionsstand anbieten, bei dem Demonstranten auch über die Vorteile von Freihandel hätten diskutieren können. Nach erster Genehmigung durch das Ordnungsamt der Stadt Frankfurt, wurde diese Genehmigung aufgehoben und ein Ort abseits aller TTIP-Demonstrationen vorgeschlagen, da die Polizei nicht die Sicherheit des Standes garantieren konnte. „Die vermeintlich Guten, die für einen gerechten Welthandel einzutreten behaupten, schränken das Recht, eine andere Meinung frei zu äußern, erheblich ein. Wir sehen es als bedenklich für die Meinungsfreiheit in Frankfurt an, dass die Gefahreneinschätzung der Sicherheitsbehörden dazu führt, unser Gesprächsangebot am Opernplatz zu verschieben, weil augenscheinlich einige Teilnehmer der Großdemo nicht mit anderen Meinungen als der eigenen klarkommen“, bedauerte Dr. Thorsten Lieb, Vorsitzender FDP Frankfurt, die Absage des Infostands. Gleichzeitig heben Kreis- und Landesverband hervor, dass dies keine Kritik an Ordnungsamt oder Polizei sei.
Aus Sicht der Freien Demokraten lebt Demokratie vom Meinungsaustausch und den unterschiedlichen Positionen zu einem Thema, um es aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Dies erfordert eine friedliche und zivilisierte Diskussions- und Demonstrationskultur, denn die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter in unserem Land. „Anscheinend ist auch bei der TTIP-Großdemo zumindest für einige die Akzeptanz einer anderslautenden Meinung als der eigenen so schwer zu ertragen, dass wir geschützt werden müssten. Für Freie Demokraten, die völlig auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, ist dies eine merkwürdige Situation“, erklärte Lasse Becker, stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Hessen und weiter: „Bei TTIP und CETA geht es für uns darum, dass gerade ein exportorientiertes Land wie Hessen, stark von Freihandel profitieren würde: Wir würden neue Arbeitsplätze in Hessen schaffen und es würden gerade kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren. Ein Großunternehmen kann schon heute mit großen Exportabteilungen die Standards verschiedener Länder erfüllen, kleinere Unternehmen haben hier weitaus größere Probleme.“
Die FDP wollte an ihrem Stand den Fragen nachgehen, ob Freihandel mehr Arbeitsplätze schafft, welche Auswirkungen er auf Standards hat, ob Großunternehmen oder eher kleinere Unternehmen Nutznießer von Freihandelsabkommen sind. „Wir sehen sowohl Chancen als auch Risiken durch den Freihandel und sind nach wie vor bereit, dies offen zu diskutieren, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Einfach nur dagegen zu sein, reicht nicht und ist nicht unsere Lösung, denn wir wollen Europa und unser Land gestalten und bestmöglich aufstellen. In den USA wird diskutiert, ob ein Rohmilchkäse (z.B. Schimmelkäse oder Camembert) wirklich zugelassen werden kann, in Deutschland ist dies umgekehrt bei manchem US-amerikanischen Verfahren der Fall. Wir sollten deshalb immer beide Seiten abwägen, aber hätten zumindest die andere Seite sehr gerne auch diskutiert“, so Lieb.
Lieb und Becker heben abschließend hervor: „Wir Freien Demokraten halten unser Gesprächsangebot weiter aufrecht, aber es macht keinen Sinn abseits des Geschehens diskutieren zu wollen. Wir sind – genau wie viele andere Freie Demokraten – gerne bereit mit den Gegnern von freiem Handel zu diskutieren und kommen dafür auch gerne zur Demonstration vorbei.“
Wie man Antisemitismus in Deutschland salonfähig macht – ARD 2.0
Liebe Medien, liebe Demonstranten,
es ist keine Kritik an Israel oder Israels Siedlungspolitik, „Juden ins Gas“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf’ allein!“ oder irgendeine der anderen Hassparolen zu rufen. Das ist vielmehr schlicht ekelhaft, antisemitisch und nicht zu ertragen. Beim ersten Aufruf möchte man jedem der Rufenden eine kostenlose Besichtigungstour nach Auschwitz andienen und beim zweiten Aufruf bin ich geneigt zu erwidern: Menschenverachtende „feige Schweine“ trauen sich nur im Mob auf die Straße. Ich lade jeden der geifernden Horden gerne einzeln zum persönlichen Streitgespräch ein.
Viele deutsche Kritiker Israels – gerade aus dem linken Spektrum – haben sich immer darauf berufen, dass es ja nicht um Kritik an Juden, sondern an der Politik des Staats Israel ginge. Nur: Spätestens wenn bei Demonstrationen als Ziele von vermeintlicher Kritik nicht mehr Israel oder von mir aus auch Netanjahu genannt werden sondern „die Juden“ ist das banaler Antisemitismus und eben keine Kritik an Israel. Die Vermengung von beidem, wie sie von Sabine Rau in ihrem Kommentar in der ARD wohl am Deutlichsten ist, macht Journalisten zu Mitbrüllern, die auf fast perfidere Art und Weise den Antisemitismus salonfähig machen:
Sabine Rau verdammt im ersten Teil ihres Kommentars den Antisemitismus, um im zweiten Teil zu erklären, dass es aber nur verständlich und selbst durch die (im Subtext mitschwingend: „jüdische“) Regierung Israels und ihre Siedlungspolitik zu verantworten sei. Diese indirekte und nachgeschobene Rechtfertigung für offenen Antisemitismus ist keines Mediums in Deutschland würdig, sondern sollte der ARD und dem WDR vielmehr peinlich sein.
Ja, auch ich finde die Siedlungspolitik Israels vollkommen falsch. Ja, auch mich hat furchtbar genervt, als bei den Liberalen durch die israelische Botschaft einmal eine Streitveranstaltung Iran/Israel unterbunden wurde. Ja, auch ich finde manchen Hardliner im israelischen Kabinett manchmal höflich gesprochen anachronistisch anmutend. Aber nein, all dies kann nicht und in keinster* Weise irgendeinen der Ausfälle und Angriffe bei Demonstrationen in Europa entschuldigen oder auch nur erklären. Wenn Journalisten im ZDF Morgenmagazin einem menschenverachtenden Antisemiten wie Todenhöfer, der seine Fotos selbst mitten im Krisengebiet noch von Hand fälscht, ein Forum geben; wenn Dunja Hayali keine einzige kritische Nachfrage mehr in Interviews mit palästinensischen Vertretern stellt; wenn man in keinem öffentlich rechtlichen Sender hören konnte, dass rechte und linke Horden, gemeinsam mit arabischen Pro-Palästina-Gruppen Sprüche wie „Juden ins Gas“ brüllen, dann machen ARD und ZDF dem Antisemitismus den Hof. Das ist weder ausgewogen in der Berichterstattung, noch für einen Kommentar akzeptabel, sondern peinlich.
Dass im Internet irgendwelche obskuren Karten kursieren, ist eine Sache (eine korrektere Ansicht gibt es hier). Aber die Einseitigkeit der Medien aktuell ist eine andere. Meine persönliche Sicht der Dinge zur Israel-Gaza-Krise 2014 deshalb (empfehle übrigens auch das aktuelle Interview mit dem Leiter des FNF-Büros vor Ort):
Dass aus dem Gaza-Streifen noch immer Raketen auf Israel geschossen werden, spielt medial ebenso wenig eine Rolle wie die einseitig begonnene Waffenruhe Israels oder der in Diskussion befindliche neue Friedensvorstöße. Die Regierung Netanjahu hat manchen Fehler gemacht. Aber sich selbst zu verteidigen, ist keiner davon. Um das ganze Mal auf Deutschland zu übertragen: Wenn aus Potsdam auf Berlin oder aus Offenbach auf Frankfurt Raketen abgeschossen würden, erwartet auch niemand, dass man in der jeweils bombardierten Stadt einfach zuschauen würde, weil man ja einen funktionierenden Raketenschutzschirm hätte. Das von Israel zu erwarten ist weltfremd.
Jedes zivile Opfer in einem Krieg ist furchtbar und natürlich muss auch das israelische Militär sich kritischen Fragen zu seiner Kriegsführung stellen. Aber menschenverachtender ist für mich die Hamas, die die Bevölkerung des Gaza-Streifens in Gänze als menschliche Schutzschirme missbraucht, in dem sie zum Beispiel Raketen in Schulen lagert. Gleichwohl ist Israel natürlich gefragt, jeden einzelnen Vorfall, den es gegeben hat zu untersuchen und sicherzustellen, dass so wenig Zivilisten wie in einem Krieg möglich, verletzt oder getötet werden. Ich zweifele aber, dass die Hamas bei ihren Raketenangriffen, wenn sie durchkommen würden, wirklich immer nur Kasernen getroffen hätte.
Liebe Medien, liebe Demonstranten,
wer es nicht sinnvoller mal wirklich sachlich an die Situation heranzugehen? Denn – wie das Bild unseres Astronauten Alexander Gerst aus dem Weltall zeigt – man sieht von oben nur die Explosionen. Nicht, wer abgeschossen hat. Jede Rakete ist eine zu viel. Einseitiges Anheizen von Antisemitismus verstärkt dieses Problem aber, anstatt es zu lösen. Und das sollte traurig machen und zwar alle Seiten.
Mein traurigstes Foto: von der #ISS aus sehen wir Explosionen und Raketen über #Gaza und #Israel pic.twitter.com/xRERusouyk
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) July 23, 2014
* Für diejenigen, die auf sprachliche korrekte Formulierung bestehen: keiner.
Letzte Ratgeber zur Europawahl
Morgen findet ja die Europawahl statt und heute möchte ich an dieser Stelle unentschlossenen noch zwei Ratgeber mit auf den Weg geben:
Einerseits dürfte der Wahl-O-Mat zur Europawahl vielen bekannt sein und gerade auch für diejenigen in Deutschland hilfreich sein.
Letzte Woche neu entdeckt habe ich „MeineWahl2014“, ein Tool, dass die eigenen Prioritäten mit denen der einzelnen Abgeordneten vergleicht. Gab bei mir überraschende Ergebnisse (Liberale zwar vorne aber innerhalb der FDP sehr gemischt).
Hier für jeden zum Mitmachen in meine Seite integriert:
Man kuschelt nicht mit Despoten
Der sonst eher marktwirtschaftlich geprägte Ulf Poschardt hat heutmorgen in der Welt seine menschelnde Seite gezeigt, als er – ganz den Ärzten mit „Schrei nach Liebe“ folgend – quasi „free hugs“, also kostenlose Umarmungen für Wladimir Putin gefordert hat. Er liegt damit falsch. Die Welt in der Ukraine ist zwar nicht so klar schwarz/weiß, wie viele deutsche Medien es uns weiß machen wollen, aber das Verhalten von Wladimir Putin erinnert doch erheblich mehr an sowjetische oder nationalsozialistische Einmärsche, denn an ein einen hilflosen kleinen Jungen, der sich nach der Liebe des Westens sehnt.
Oppositionsparteien in der Ukraine nur unwesentlich besser als Janukowitsch
Aber von Anfang an: Europa und die USA haben es sich zuerst mit dem einseitigen Hochjubeln der ukrainischen Opposition – damit meine ich übrigens nicht die Demonstranten auf dem Maidan, sondern vielmehr die bisherigen politischen Parteien – zu leicht gemacht. Wohl am Unbelasteten, aber leider auch politisch am Unbeschlagensten dürfte noch Klitschko sein. Aber wenn der Tweet von Marina Weisband stimmt, dann wird er schlicht nicht komplett ernstgenommen vor Ort.
Klitschko wurde im Westen zu einer Erlösergestalt hochstilisiert, als die er in der Ukraine nicht gilt.
— Marina Weisband (@Afelia) 24. Januar 2014
Gerade Julia Timoshenko hingegen ist selbst nun wahrlich über genügend Korruptionsaffären und Verfolgungen Andersdenkender gestolpert, um sie zur Heilsbringerin zu stilisieren. Deshalb trifft es wohl die Aussage eines liberalen Journalisten:
„Many of us are sincerely happy, that Yulia Tymoshenko is no longer in jail. But let’s be honest with ourselves: those who wish to see her back in politics are not many.”
Schlussendlich waren es Julia Timoschenko und Wictor Juschtschenko, die mit ihren Affären und ihrer Fehde nicht nur die Demokratie in der Ukraine in eine Krise gestürzt haben, sondern auch das Wiedererstarken Janukowitschs und seine demokratische Wahl erst ermöglicht haben. Denn, auch wenn Janukowitsch nach allen Bildern und Berichten weit über die Grenzen dessen gegangen ist, was ein Demokrat tun darf, war er demokratisch gewählt. Doch gerade diese Grenzüberschreitung im Amt, der Ausbau der eigenen Rechte, die weitere Spaltung des Landes durch die harsche Abkehr von Europa, das Niederknüppeln und Erschießen der Demonstranten sorgten erst für die Notwendigkeit der Revolution, deren demokratische Kräfte es deshalb zu unterstützen gilt und galt.
Ob es klug seitens der Revolutionäre war, mit Vorstößen wie der geplanten Abschaffung der russischen Sprache als Landessprache den Spaltpilz zu düngen, darf wohl bezweifelt werden.
Grundprobleme der Sowjet-Republiken: Willkürliche Grenzen
Sachlich vorangestellt: Eines der Grundprobleme vieler heutiger territorialer Probleme auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR ist ohne Zweifel die vollkommen willkürliche Grenzziehung der wechselnden Diktatoren der Sowjetunion. Genau wie beim Georgien-Krieg, insbesondere mit Blick auf Abchasien, Stalins Erweiterung der Georgischen Sowjet-Republik eines der Kernprobleme war, ist es heute in der Ukraine Kruschtschows Zuordnung der historisch russischen Krim an die die Ukraine.
An dieser Stelle sei übrigens ein Blick in den Atlas empfohlen und nicht auf die aktuell in den Medien kursierenden Karten: Die Krim hat geographisch bis auf einige dünne Landbrücken kaum mehr wirkliche Landübergänge zur Ukraine wie zur russischen Küste des Schwarzen Meers. Auf manchen Karten in den Medien erhält man da aktuell einen anderen Eindruck.
Krim-Krieg reloaded?
Unabhängig von all diesen Fragen, bleibt die Frage, was heute auf der Krim und in den südöstlichen Teilen der Ukraine geschieht und wie Europa damit umgehen sollte.
Für mich steht vollkommen außer Frage, dass es sich – anders als Gerhard Schröder – um ein völkerrechtswidriges Vorgehen Russlands in der Ukraine handelt. Denn auch wenn die russischen Soldaten keine Hoheitszeichen tragen, bleiben es doch russische Soldaten. Selbst wenn Putin selbst heute keinen Bedarf für russische Truppen in der Ukraine sieht, sind sie eben real – ohne Hoheitszeichen – schon da.
Dazu kann man sich die Aussage von Ludwig von Mises nur unterstreichen:
„Noch ärger ist das Missverständnis, wenn man das Selbstbestimmungsrecht als ‚Selbstbestimmungsrecht der Nationen‘ gar dahin verstanden hat, dass es einem Nationalstaate das Recht gebe, Teile der Nation, die einem anderen Staatsgebiet angehören, wider ihren Willen aus ihrem Staatsverband loszulösen und dem eigenen Staat einzuverleiben.“
Aber was sind die Konsequenzen daraus?
Der erhobene Zeigefinger der Absage des G8-Gipfels, noch dazu mit angezogener deutsch-französischer Handbremse, kann nicht ernsthaft die einzige Reaktion der Europäischen Union bleiben. Einmal mehr zeigt sich, dass das Stimmengewirr der europäischen Außenpolitik nicht gerade hilfreich ist. Auch wenn Sanktionen schlicht wegen des Vetorechts Russlands nie durch den UN-Sicherheitsrat kommen werden, müssen sie doch Realität werden. Dass der Markt durch seine eigenen Kräfte real bereits Sanktionen schafft, ist ein mehr als positives Zeichen, reicht aber nicht aus. Es zeigt aber, dass dies möglich wäre. Insbesondere mit Blick auf die wohl ohnehin sehr niedrige Akzeptanz des russischen Vorgehens auf der Krim könnten Sanktionen den Druck deutlich erhöhen.
Der Spitzenkandidat der Liberalen zur Europawahl Alexander Graf Lambsdorff hatte in einem ersten Statement hervorgehoben, dass es für ihn keine militärische Option geben können, da dies sonst Krieg in Europa hieße. Diese Aussage halte ich für falsch bis gefährlich: Natürlich darf eine militärische Option nie die erste Wahl sein. Aber sie gänzlich vom Tisch zu nehmen und mit den Despoten nur á la Neville Chamberlain zu kuscheln hat sich in der Vergangenheit nicht gerade bewährt. Außerdem haben unsere Verbündeten USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine im Gegenzug dafür, dass sie keine Atomwaffen behält, ein Schutzversprechen abgegeben. Ansonsten droht uns als Kollateralschaden ein nukleares Aufrüsten, da offensichtlich Schutzversprechungen nicht so wirklich viel wert sind. Keine schöne Vorstellung. Mit seinem neueren Statement hat Alexander Graf Lambsdorff seine Position zur Ukraine wieder etwas gerader gerückt.
Habe ich Sorgen wegen der Gefahr einer militärischen Intervention? Natürlich. Gewaltige sogar. Sie darf nur allerletzte Möglichkeit sein, aber sie ganz auszuschließen bleibt falsch.
Am Ende bleibt für mich: Europa muss gemeinsam mit den USA verhandeln, aber eben auch handeln. Bei allem Verständnis für den Phantomschmerz eines verlorenen Sowjetreiches können wir nicht (erneut) dulden, dass Russland demokratische Staaten teilweise überrennt. Gleichzeitig muss die neue ukrainische Führung Schritte zur Einheit des Landes gehen und das Provozieren der östlichen Ukraine, die nun einmal stärker pro-russisch geprägt ist und auch sein wird, ist nicht hilfreich. Deshalb scheint mir eine klar föderale Ukraine, mit Toleranz zu Entwicklungen sowohl zu Russland als auch zur EU hin, der einzige Weg. Nur diesen Weg einschlagen, können nicht wir. Wir können nur handeln und helfen. Aber eben nicht nur umarmen, sondern auch deutliche Worte und Reaktionen finden.
Und allen die sich auf die Rede von Putin vor dem Bundestag im Jahr 2001 berufen, sei diese nur zitiert:
„Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat.“
Das darf man nach den letzten Wochen getrost bezweifeln. Ich tue es zumindest und gegen Okkupationsideologien helfen keine Umarmungen. Das sollte gerade für uns Deutsche eine tragisch gelernte Lektion des 20. Jahrhunderts sein.
Wie kommen wir nach Europa – der Weg hin zur Vision des Europäischen Bundesstaates
Letzte Woche in Brüssel habe ich eine interessante Geschichte eines nordrhein-westfälischen MdEP gehört: Bei einer Abendveranstaltung in NRW fragte einer der Zuhörer: „Wo kommen Sie denn her, aus Brüssel ist es ja immer ein bisschen weiter.“ Auf die Antwort, dass vorher ein Termin in Berlin stattgefunden hätte, kam die Erwiderung: „Ach, dann hatten Sie es ja heute nicht so weit.“
Gefühlt sind knapp zwei Stunden von Köln nach Brüssel (ICE) also länger als die knapp fünf Stunden von Köln nach Berlin (ICE). Wie kommen wir dahin, dass sich das ändert? Und was sind die Wege hin zu unserer Vision der Zukunft Europas. Dazu durfte ich auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in der Hessischen Landesvertretung diskutieren.
Die Vision: Aufwachen in den Föderalen Nationen Europas
Wenn ich träumen darf und dabei in der Zukunft aufwachen würde … wie würde ich mir wünschen, dass dann Europa aussieht?
Aufwachen würde ich dann am liebsten in einer neuen Gemeinschaft, den Föderalen Nationen Europas (ich mag diese ständige Vereinigte Staaten-Analogie nicht).
Das heißt für mich in einer Föderation, bei der jedes Land seine eigenen Besonderheiten in einer föderalen Struktur behalten konnte, gleichzeitig aber wichtige gemeinsame Aufgaben in der Außenvertretung gemeinsam geschultert werden. Dazu gehört klare Subsidiarität und nicht so ein verquaster Föderalismus wie in Deutschland.
Wichtiger als diese Vision ist aber der Weg dorthin, bei dem wir JuLis uns teils ganz konkrete, teils aber auch weniger konkrete Gedanken gemacht haben. Auf dem Podium haben wir gestern länger und kontrovers diskutiert, wie wichtig die Finalitätsdiskussion überhaupt ist. Ich bin überzeugt, dass die Finalitätsfrage nicht alles entscheidet, aber wir eben doch das Ziel festlegen sollten, bevor wir uns entscheiden loszugehen, deshalb finde ich sie im Gegensatz zu Rainer Stinner und Prof. Dr. Ludger Kühnhardt auch nicht vernachlässigbar. Wichtiger ist aber:
Der Weg: Echte Demokratie, mehr Zuständigkeiten, aber auch Rückverlagerung von Zuständigkeiten
Denn nur über das konkrete politische Handeln also den Weg hin zum Bundesstaat können wir gerade junge Menschen wieder für Europa begeistern. Gerade für jüngere Menschen ist es eine solche Selbstverständlichkeit in Frieden zu leben, dass wir diese Errungenschaft Europas gar nicht mehr in gleichem Maße wie unsere Eltern und Großeltern wahrnehmen. Aber spätestens, wenn man das erste Mal wieder ein Visum für die Einreise in ein Land außerhalb Europas braucht und den Pass vorzeigen muss, spürt jeder von uns drastisch: Europa bringt uns – trotz aller Kritik – sehr viel Freiheit jeden Tag.
Damit aber die Akzeptanz der positiven Geschichte Europas weiter bzw. wieder steigt, müssen sich Europa und die Europäische Union schnell demokratisieren: Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Wahlsystem für das Europaparlament, bei dem zumindest in einem ersten Schritt ein Teil der Mandate europaweit vergeben wird. Bei den Europawahlen sollten deshalb die Parteien auch gemeinsame europaweite Kampagnen aufbauen, damit die FDP in Deutschland das gleiche Motiv und die gleichen Inhalte in den Mittelpunkt stellt, wie die LibDems im Vereinigten Königreich, Svenska folkpartiet in Finnland oder Italia dei Valori in Italien. Damit würden wir einen ersten Schritt hin zu einer gemeinsamen Öffentlichkeit schaffen. Auf dem Podium wurden auch gemeinsame Polit-Talkshows auf Anregung von Prof. Kühnhardt und Marco Incerti diskutiert. Prinzipiell eine gute Idee, die aber nur funktioniert, wenn man europaweit abgestimmte Programme vertritt.
Daneben sollte aber auch der Rat den Mut finden, sich zu demokratisieren: Langfristig brauchen wir eine zweite Kammer, einen Senat, für das Europaparlament und keine Mischform von Exekutive und Legislative. Zwei Senatoren pro Mitgliedsstaat könnten wesentlich stärker legitimiert die Interessen dort vertreten als ein wildes Konvolut von Fachministern.
Zentral für die Akzeptanz – gerade in der aktuellen Krise – sind aber auch Selbstreflexion und Aufgabenkritik in Brüssel: Gerade als Konsequenz in der Krise brauchen wir einerseits in zentralen Fragen der Haushaltsdisziplin und zum Beispiel auch der Vertretung nach außen mehr Kompetenzen in Europa. Aber auf der anderen Seite sollte die Europäische Union auch endlich den Mut finden, zu sagen, welche Dinge subsidiär bei den Mitgliedsstaaten aufgehoben sind:
Die Agrarpolitik und manche Teil der Regionalförderung würden sicher besser noch nicht mal auf die Nationalstaatsebene, sondern regional zugeordnet werden, geschweige denn in Brüssel zu behandeln sein.
Das sind nur einige sehr grundsätzliche Felder, die man dringend angehen sollte, klar ist für mich aber: Die Frage, mehr oder weniger Europa sollte nicht von Krisenlaunen abhängen, sondern langfristig und überlegt berücksichtigen, was gut ist:
Für Europa und seine Bürger in einer multipolaren Welt.
Gipfelergebnisse sind wichtiger Schritt auf dem Weg zur Stabilitätsunion
Manchmal wird behauptet Antrag B sei mit den Ergebnissen des EU-Gipfels obsolet geworden. Das Gegenteil ist der Fall: Die Befürworter von Antrag A, die all diese Ergebnisse noch vor einer Woche für vollkommen unrealistisch hielten, werden mit den Gipfelergebnissen Lügen gestraft. Aber wie immer im Leben, ist natürlich auch für einen Befürworter von Antrag B nicht alles, perfekt, so wie es entschieden wurde.
Im Zuge des Mitgliederentscheids wurde bei allen Veranstaltungen, bei denen ich mitdiskutiert habe, immer von den Befürwortern von Antrag A behauptet, man würde nie automatische Sanktionen durchgesetzt bekommen. Schuldenbremsen in allen EU-Verfassungen seien vollkommen utopisch. Stattdessen würde das Haftungsvolumen immer weiter ausgedehnt werden und eine gemeinsame Haftung durch Eurobonds kommen.
Einige Ergebnisse des Gipfels daher kurz zusammengefasst:
- automatische Sanktionen kommen und können nicht mehr einfach ausgehebelt werden,
- Schuldenbremsen kommen in alle nationalen Verfassungen der EU (mit Ausnahme Großbritanniens) und die Einhaltung dieser wird überwacht,
- das Haftungsvolumen des ESM bleibt, wie es vorgesehen war, auch wenn er ein Jahr früher kommt als geplant und erhält keine Banklizenz,
- der Plan der Kommission Eurobonds einzuführen wird nicht weiterverfolgt,
- der IWF wird auch formal als eine der Institutionen, die Staateninsolvenzen planbar machen kann, eingebunden und gestärkt,
- leider wird die Frage der Beteiligung privater Gläubiger zukünftig anders bewertet, bleibt zwar noch teilweise vorhanden, aber eingeschränkt.
Was heißt das für Antrag B?
Es heißt, dass wir bei sechs von sieben Punkten von Antrag B bereits mit diesem Gipfel auf einem guten Weg sind (siehe Bewertung am Text von Antrag B unten). Mit dem Stabilitätspakt II, den Schuldenbremsen, den automatischen Sanktionen, dem Ausschluss von Eurobonds, neuen Finanzmarktregeln und dem Weg zur Stabilitätsunion sind die richtigen Schritte eingeleitet.
Natürlich ist die teilweise Abkehr von der privaten Gläubigerbeteiligung ärgerlich, aber Frank Schäffler und die Unterstützer von Antrag A heben schließlich immer hervor, dass man eine geordnete Insolvenzordnung nicht brauche, weil es sie ohnehin schon gäbe … insofern kann das kein Argument für einen Befürworter von Antrag A sein: Denn wenn der Fall eintritt, käme es ja nach dieser Argumentation so oder so. Ich persönlich halte die private Gläubigerbeteiligung weiter für richtig und finde, dass jetzt gerade die FDP weiter gefragt ist, den Rahmen für eine Insolvenzordnung von Staaten zu definieren. Wir müssen gestalten, wie die Gläubigerbeteiligung zukünftig wieder berücksichtigt werden kann. Das kostet Überzeugungsarbeit auf Europäischer Ebene, aber bleibt aus meiner Sicht trotzdem richtig. Auf der anderen Seite ist die Partnerschaft mit dem IWF mit Sicherheit gerade für diese Insolvenzordnung hilfreich, so dass auch bei diesem Punkt noch einiges zu erwarten ist.
Mein Fazit des EU-Gipfels: Alle die behauptet haben, die liberalen Bedingungen für einen langfristigen (und nicht dauerhaften) ESM würden nie kommen, sind Lügen gestraft worden. Sechs von sieben Punkten sind bereits umgesetzt. Für den siebten Punkt müssen wir jetzt weiter Überzeugungsarbeit leisten, aber Politik besteht eben auch aus Kompromissen.
Ich bin deshalb nach dem Gipfel noch überzeugter, dass die Stimme für Antrag B richtig war und kann allen Unentschlossenen nur zurufen: Morgen Antrag B ankreuzen und die Stimme mit der Erklärung in den Briefkasten schmeißen, damit wir den Grundstein aus der Schuldenkrise hin zu einer neuen Stabilitätsunion legen!
Hier nochmal Antrag B im Wortlaut mit meinen Kommentierungen (in kursiv):
Europa auf dem Weg zur Stabilitätsunion
- Wir wollen ein Europa der gemeinsamen Stabilität. Die FDP ist der Garant für den konsequenten Weg in eine europäische Stabilitätsunion mit Werten, Regeln und Sanktionen. Europa braucht eine Wirtschaftsverfassung der Sozialen Marktwirtschaft, die Selbstverantwortung der Mitgliedstaaten und Wettbewerb stärkt. Die FDP lehnt eine zentralistische Wirtschaftsregierung ab, die Schulden und Wohlstand umverteilt und bürokratisch regiert. Haken dran. Die zentralistische Wirtschaftsregierung, wie sie mal im Raum stand wird nicht kommen.
- Wir entscheiden über Europas Zukunft. Europa lebt von der Beteiligung seiner Bürgerinnen und Bürger. Deshalb ist der Mitgliederentscheid der FDP ein Gewinn für die demokratische Meinungsbildung. Haken dran. Stimmt für mich noch immer, auch wenn die Tonlage – gerade auf Facebook – nicht immer hilfreich war.
- Wir wissen, dass Deutschland von Europa profitiert. Wir verdanken der europäischen Einigung Freiheit, Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Der gemeinsame Markt und die gemeinsame Währung sind für Deutschland als wichtige Volkswirtschaft in Europa von besonderer Bedeutung. Haken dran. Der gemeinsame Markt ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte. Mit einem Augenzwinkern: Sehen sogar die Briten so.
- Wir wollen Änderungen der Europäischen Verträge. Die Bürgerinnen und Bürger wollen eine harte Währung. Die Schuldenpolitik vieler Euro-Staaten und der Bruch des Stabilitätspakts durch Rot-Grün haben die derzeitige Krise verursacht. Ein verbindlicher Stabilitätspakt II muss zukünftige Schuldenkrisen in Europa verhindern. Wir sorgen für strikte Regeln, automatische Sanktionen und fordern „Schuldenbremsen“ in allen Verfassungen der Euro-Staaten. Haken dran. Sowohl die Schritte zu einem Stabilitätspakt II als auch zu Schuldenbremsen sind gemacht.
- Wir gewähren Hilfe nur bei Gegenleistung. Jede Form von Nothilfe darf nur das letzte Mittel sein, wenn die Stabilität der Euro-Zone insgesamt in Gefahr ist. Hilfen dürfen nur unter strengen Auflagen gewährt werden, deren Einhaltung ständig überprüft wird. Jeder haftet für seine Schulden selbst. Eine wechselseitige Schuldenübernahme findet nicht statt. Nur die FDP garantiert, dass die Vergemeinschaftung von Schulden, zum Beispiel durch Eurobonds, ausgeschlossen bleibt. Die FDP hat durchgesetzt, dass das deutsche Haftungsvolumen der Höhe nach klar begrenzt bleibt (bei der EFSF 211 Milliarden Euro) und vor jeder Hilfszusage die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen ist. Ausweitungen des deutschen Haftungsvolumens der Rettungsschirme durch finanztechnische Maßnahmen lehnt die FDP ab. Diese Prinzipien sind die Voraussetzung dafür, dass die FDP einem langfristigen europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zustimmt. Haken dran. Eurobonds bleiben allen Unkenrufen zum Trotz ausgeschlossen und das Haftungsvolumen bleibt so wie geplant. Leider gibt es finanztechnische Maßnahmen, aber das Haftungsvolumen bleib begrenzt.
- Wir werden Risiko und Haftung wieder verbinden. Die FDP will die Möglichkeit eines geordneten Insolvenzverfahrens für überschuldete Staaten in den Verträgen verankern. So kann ein betroffenes Land seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und Schuldentragfähigkeit zurückerlangen. Die FDP hat eine Haftung der privaten Gläubiger durchgesetzt. Mit Einführung des ESM wird diese verpflichtend. Notwendig sind weitere Maßnahmen zur effektiven Regulierung der Finanzmärkte: Dazu gehören eine unabhängige europäische Ratingagentur, mehr Transparenz, klare Haftungsregeln und wirksamere Kontrollen durch eine schlagkräftige Bankenaufsicht und eine effektive internationale Finanzmarktarchitektur. Leider kein Haken oder nur ein halber Haken. Haftungsregeln, Bankenaufsicht und Finanzmarktarchitektur sind im Fokus, aber bei der Gläubigerhaftung war der Gipfel leider ein Rückschritt. Andererseits wurde mit dem IWF eine Institution, die gerade bezüglich der Insolvenzfragen erfahren ist, jetzt richtig ins Boot geholt. Aber insgesamt bleibt es der einzige Punkt, bei dem der Gipfel nicht komplett unserer Linie entsprochen hat.
- Die FDP hat Verantwortung für Deutschland und Europa. Wir sind die Partei, die das Haus Europa mitgebaut hat, und die für die Werte der Sozialen Marktwirtschaft kämpft. Die FDP steht für eine Stabilitätsunion und lehnt eine Haftungsunion ab. Haken dran. Die ersten Schritte zur Stabilitätsunion sind gemacht.
Es entspricht unserer liberalen Haltung und Tradition, nicht nur Nein zu sagen, sondern den Weg für ein stabiles Europa mit Leidenschaft und wirtschaftlicher Vernunft mitzugestalten.
Veröffentlicht wie auf www.stabiles-europa.de.
Staatliche Insolvenzordnung, Schuldenbremsen und Stabilitätsunion jetzt ermöglichen
Die Diskussionen über den richtigen Ausweg aus der europäischen Schuldenkrise verlaufen äußerst kontrovers – egal ob man in der Bevölkerung oder unserer Partei nach Meinungen fragt. Die letzten Wochen haben zudem gezeigt, dass sich auch Experten keineswegs einig sind: Während die Wirtschaftsweisen die Bundesregierung für ihr Verhalten in der aktuellen Krise loben und noch weitere Maßnahmen in diesem Kontext in Aussicht stellen, empfiehlt eine stattliche Anzahl anderer nicht minder angesehener Volkswirte den Kurs der Initiatoren des Mitgliederentscheids.
Auch in den anderen Parteien herrscht große Skepsis. Die Mitglieder haben das Bedürfnis mitzudiskutieren und drängende Fragen von ihren Mandatsträgern beantwortet zu bekommen. Dabei ist die FDP aber bisher die einzige Partei, in der den Mitgliedern überhaupt die Chance gegeben wird, den Kurs in dieser wichtigen Frage des Auswegs aus der Schuldenkrise auch direkt mitzubestimmen.
Der Hintergrund, vor dem wir uns nun entscheiden müssen, ist dramatisch und der Anlass des Mitgliederentscheids eher traurig: Wären die Maastricht-Kriterien niemals von SPD und Grünen aufgeweicht worden, hätten die Bekenntnisse des Stabilitäts- und Wachstumspaktes funktioniert und wir stünden heute nicht dort, wo wir sind. Das tiefe Hineinschlittern in die Schuldenkrise war keineswegs unausweichlich – die Weichen hätten bloß zur rechten Zeit auf Stabilität und Solidität statt auf Schulden und Verantwortungslosigkeit gestellt werden müssen. Doch die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Umso mehr muss für uns gelten:
Die Schuldenmacherei in den EU-Mitgliedsstaaten muss ein Ende haben.
Als konsequenten Weg dorthin erschien vielen JuLis ein einfaches „Nein“ zu allen Rettungsaktionen und ein daraufhin drohender wirtschaftlicher Zusammenbruch durch das Aus von Teilen des Banken- und Versicherungssektors ein zu hoher Preis für eine strikte Linie. Auf unserem letzten JuLi-Bundeskongress in Oldenburg haben wir deshalb lange und kontrovers diskutiert und am Ende umfassend zur Schuldenkrise Stellung genommen. Wir fordern vor allem eine Verschärfung der Regeln, die in Zukunft eine zu hohe Staatsverschuldung vermeiden sollen, um das Staatsschuldenproblem auch direkt an der Wurzel zu packen und nicht reine Symptombekämpfung zu betreiben.
So soll die EU etwa im Rahmen einer europäischen Finanzverfassung ein Durchgriffsrecht auf nationale Haushalte bekommen, wenn die Stabilitätskriterien in entsprechendem Maß verletzt sind. Dem Ministerrat sollen die Durchsetzungskompetenzen zugunsten der EU-Kommission entzogen werden. Damit wollen wir automatische, scharfe Sanktionen für Mitgliedsstaaten, die weiter Schuldenberge auftürmen, schaffen. Zudem setzen wir auf Schuldenbremsen in allen Mitgliedstaaten und auf eine echte Insolvenzordnung für Staaten, verbunden mit einer Austrittsoption aus dem Euro.
Nur: All dies werden wir aus meiner Sicht sicher nicht erreichen, wenn wir es nicht zur strikten Auflage für eine Zustimmung zum ESM machen, sondern einfach – wie es die Initiatoren des Mitgliederentscheids um Frank Schäffler wollen – „Nein“ sagen, ohne Antworten zu liefern und Überzeugungsarbeit zu leisten. Das spricht aus meiner Sicht klar für Antrag B.
Auch ich habe meine Bauchschmerzen mit Rettungsschirmen aller Art. Ein befristeter ESM aber ermöglicht aus meiner Sicht eine mittelfristige Stabilisierung der betroffenen Staaten, die Verhinderung von Domino-Effekten und eine Umschuldung unter Beteiligung privater Gläubiger. Dabei behält er das eigentliche Ziel einer Währungsunion, die aus sich selbst heraus stabil ist, im Auge. Anders als die Initiatoren des Mitgliederentscheids lehnen wir JuLis deshalb den ESM also nicht generell ab, sondern fordern ein befristetes Inkrafttreten, weil wir die Risiken von Fehlanreizen an den Märkten durchaus ernst nehmen. Als Teil einer Übergangslösung, bis die eigentlichen Probleme gelöst sind, halte ich ihn aber für notwendig.
Ein einfaches „Nein“ reicht nicht
Eine klare Position, ein laut ausgerufenes „Nein“ zum ESM, zum Euro und zu jeder weiteren europäischen Integration erscheint manchem Liberalen verlockend. Ich bin dennoch der festen Überzeugung, dass es der falsche Weg ist. Wie ich schon im Hamburger Abendblatt gesagt habe: „Einfache (Schein-)Lösungen, garniert mit platter Polemik, sind in den seltensten Fällen richtig, wenn es darum geht, komplexe Herausforderungen zu meistern.“.
Vielmehr sollten wir anstelle einer Totalverweigerungshaltung nach Vorne schauen: Die Integration Europas unter dem Dach unserer gemeinsamen Währung muss weiter fortsetzt werden. Der ESM ist selbst als ausdrücklich befristetes Sicherheitsnetz zwar auch für mich schwer zu akzeptieren, aber er zeigt eine Route auf, um über verbindliche Schuldenbremsen in allen Ländern langfristig zu einem stabilen, friedlichen und starken Europa in einer globalen Welt zu gelangen.
Dafür kämpfen wir Junge Liberale mit Leidenschaft und deshalb setze ich mich persönlich – gerade nach den Debatten unseres JuLi-Bundeskongresses – für den Antrag des FDP-Bundesvorstands ein. Er ist sicher nicht perfekt. Verglichen mit den nicht vorhandenen Alternativen des Antrages der Initiatoren des Mitgliederentscheids ist er aber noch sicherer der weniger schlechte Weg.
Veröffentlicht wie auf www.stabiles-europa.de.
Fahren rote Autos wirklich schneller – Sarrazin und ein paar seiner (Trug-) Schlüsse hinterfragt
Schon seit einiger Zeit wollte ich etwas zu Thilo Sarrazin, genauer: zu seinen Thesen bloggen, jetzt komme ich endlich dazu. Vorweggesagt: Ich habe mir nicht das Buch gekauft und werde es auch nicht tun. Warum? Weil ich fest davon überzeugt bin, dass es – neben der Befriedigung seiner generellen Profilneurose, die in jedem Quartal, in dem er noch nicht mit einer irren Forderung in der BILD stand, ausbricht – Sarrazin vor allem um das Hochtreiben seiner Auflage ging.
Nichtsdestotrotz wäre es zu einfach, wenn ich mich jetzt hinstellen würde und einfach alle Behauptungen, Thesen und Fakten unhinterfragt bei Seite schieben würde.
Im Handelsblatt gibt es eine schöne Passage von Christoph M. Schmidt, die schon viele der statistischen Fehler Sarrazins aufzeigt, gerade die Kausalität ist häufig das Problem:
„Führte man auf deutschen Autobahnen Geschwindigkeitsmessungen durch und wertete sie nach Farben getrennt aus, dann würde sich vermutlich herausstellen, dass rote Autos im Schnitt schneller fahren als lindgrüne oder hellblaue. Das dürfte wohl an mehreren Ursachen liegen, etwa, dass Ferraris oft rot sind und dass vor allem sehr defensive Fahrer ein pastellfarbenes Auto erwerben. Auf die Idee, die roten Fahrzeuge wären schneller, weil sie rot sind, käme aber hoffentlich niemand.“
Dort wird viel Statistisches richtig ausgeführt, deshalb möchte ich hier nur einige wenige inhaltliche Punkte kritisch hinterfragen und beleuchten:
Abgesehen davon, dass viele wahrscheinlich den Begriff „autochtone Bevölkerung“ (zu Deutsch: eingeborene Bevölkerung) in den vergangenen Wochen erstmals gehört haben dürften, finde ich gerade diese Begriffswahl für einen Nachkommen der Hugenotten zumindest amüsant. Nach strikter Definition ist Sarrazin – genausowenig autochton an dem Ort, an dem er heute lebt – wie ich: Meine Familie stammt aus dem heutigen Polen, dem früheren Schlesien. Sarrazins Vorfahren kamen aus Frankreich und wurden dort, weil sie sich nicht religiös anpassen wollten, vertrieben. Gerade daraus dann abzuleiten, dass Integration nur durch Anpassung erfolgen kann, ist eine mutige These. Für mich gelingt Integration dann, wenn man sich den Grundwerten Respekt und Toleranz und dem Grundgesetz unterwirft und nicht, in dem man sich zum Beispiel religiös anpasst.
Aber auch andere Thesen, wie „Dieses Europa der Vaterländer ist säkulär“, gehen, gerade verglichen mit dem türkischen Staat soweit an der Realität vorbei, dass man sich nur wundern kann. hat sich die Türkei mit „Wir sind Papst“ gebrüstet, noch wird dort durch den Staat zwangsweise ein Mitgliedsbeitrag für Sunniten oder Aleviten eingezogen.
Sarrazin hebt hervor, dass die Grenze Europas am Bosporus zu ziehen sei. Ich frage mich dabei, ob er sich schon mal einen beliebigen Euro-Schein, den er ja bei der Bundesbank hätte kennenlernen können, etwas genauer angeschaut: Da sind Inseln, die erheblich südlich des Bosporus in Afrika liegen genau wie Landstriche, die erheblich westlich in Südamerika liegen, als Teil Europas drauf …
Man kann darüber nachdenken, das viele Länder – auch die Türkei – momentan noch nicht soweit sind, Teil der Europäischen Union zu sein, und die Europäische Union noch nicht soweit ist, weitere Länder aufzunehmen, aber das jetzt an einer Meerenge festzumachen, erscheint mir wenig plausibel.
Was mich am meisten aufregt an den Auszügen Sarrazins, die ich lesen konnte, sind seine wilden Behauptungen, die als Faktenbeschreibung in den Raum gestellt werden, gekoppelt mit einer kompletten Befreiung der Texte von neuen konstruktiven Lösungsansätzen.
Da wird einfach mal in den Raum gestellt, dass Türken und Marokkaner keinen Beitrag zum Wohlstand in Deutschland erbracht hätten. Vielleicht liegt es daran, dass ich mehrere Jahre als Kommunalpolitiker im Ausländerbeirat des Landkreises Kassel verbracht habe: Die türkischstämmigen Mitglieder dort arbeiten größtenteils im Schichtdienst am Band bei Volkswagen. Ohne sie wäre mein Auto wahrscheinlich nicht in der Garage. Das würde manchen Grünen freuen, mich aber nicht, so dass zumindest meine Wohlfahrt, aber relativ sicher auch der Wohlstand der Bevölkerung erhöht worden sein dürfte. Das ständige Arbeiten mit verdrehten Statistiken, nicht belegten Zahlen und rassistischen Unterstellungen mit Blick auf Migranten á la „Wenn dann noch etwas Schwarzarbeit dazukommt – umso besser“ scheint systemisch angelegt zu sein. Oder wo ist der Beleg (der unmöglich zu führen sein dürfte), das Schwarzarbeit nur ein Problem türkischer und marrokanischer Migranten sei?
Alles in allem zeigt Sarrazin eigentlich nur ein Problem auf: Dass das Thema „Integration“ so nicht sachlich diskutiert werden kann. Denn: Natürlich haben wir riesige Integrationsprobleme. Die werden aber nicht besser durch rassistisch eingefärbte Polemiken. Und Lösungsansätze wären auch ganz schön: Eine echte Diskussion, um Bildung, um Beratung, um frühkindliche Bildung, anstelle von hohlen Phrasen einer Datenbank aller „nicht deutschen Staatsbürger“, würde mehr bringen. Sarrazin thematisiert Probleme, nur Lösungen liefert er – außer abgekauten Ideen, die entweder nur dumpfen Populismus oder längst abgedroschene Banalitäten beinhalten – nicht. Hinzukommt gerade mit seinen Gen-Diskussionen im Nachgang auch noch ein Abdriften in komplett unsinnige Vergleiche der 1930er und 1940er Jahre. Das bringt uns keinen Millimeter weiter. Ganz im Gegenteil. Ich könnte jetzt die Zahlen rausholen, dass die Schulabschlüsse von Migranten seit Zuwanderungsbeginn um 800 Prozent gestiegen sind, aber auch das würde dem Problem nicht gerecht, weil es wieder nur vereinfachen und verkürzen würde.
Gerade wir JuLis sind gefragt, nicht nur das Problem zu analysieren, sondern Antworten zu liefern. Das ist eine Herausforderung für den Leitantrag „Lebenschancen“ im kommenden Frühjahr.
(Bildquelle: Wikipedia, Nutzerin: Nina)
SWIFT ist gekippt … Sternstunde des Europaparlaments
Der amtierende Präsident Rouček Libor lag mit seiner Einschätzung „eines wahrhaft historischen Moments“ nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments zum SWIFT-Abkommen wohl sehr richtig. Nicht nur, dass das Europäische Parlament erstmals nach dem Lissabon-Vertrag seine neuen Rechte wirklich genutzt hat; es hat vielmehr auch einen massiven Fehler der nationalen Regierungen korrigiert.
Die Weitergabe von Bankdaten ist zweifelsfrei ein gewaltiger Eingriff in die Freiheitsrechte jedes einzelnen Bürgers Europa. Deshalb war es richtig, dass das Europäische Parlament sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht hat und trotzdem dem Druck aus den USA nicht erlegen ist.
Terrorbekämpfung darf nicht als Vorwand genutzt werden, um grundlegende Rechte auszuhebeln. Die liberale ALDE-Abgeordnete und Berichterstatterin Jeanine Hennis-Plasschaert (VVD/Niederlande) hat vollkommen richtig hervorgehoben, dass Grundsätze unseres Rechts durch das Abkommen missachtet würden, dass noch dringender Nachbesserungsbedarf besteht und dass die USA wohl auch nicht die Freiheit ihrer Bürger soweit einschränken und Daten weitergeben würden.
Anschließend hat das Parlament – trotz des Versuchs einer Vertagung durch die EVP – SWIFT deutlich gekippt. Hier der Auszug aus der Debatte mit der Rede von Jeanine Hennis-Plasschaert (ruhig danach weiterschauen … direkt im Anschluss geht es weiter mit der Abstimmung):
An so einem Tag kann man verdammt stolz auf das Europäische Parlament sein.