• Laden in Jermuk

    Der Tag, an dem wir den Euro nach Jermuk brachten

    Jermuk liegt in Armenien zwischen dem Sewansee und Yerevan. Bekannt ist der Ort für sein Mineralwasser, das man fast im gesamten Kaukasus trinken kann. Es gibt natürlich auch andere Getränke vor Ort. Und für die benötigt man Cash. Aber von Anfang an:

    Das erste Mal waren wir im Jahr 2007 in Jermuk. Einem ehemaligen sowjetischen Luftkurort, in dem gerüchteweise ein paar Jahrzehnte zuvor der Diktator Stalin im ersten Haus am Platz genächtigt hatte. Wir hingegen waren im „First House of Recreation“ einem „sleazy soviet sanatorium“, wie der Lonely Planet die anderen ehemaligen Sanatorien auch nannte, untergebracht. Wir, das war eine Gruppe junger Liberaler, die für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Workshops mit Jugendorganisationen – von AIESEC bis zu den Jugendorganisationen diverser politischer Parteien – gehalten hab, um für demokratische Strukturen zu werben und Fähigkeiten zu schulen.

    Laden in JermukÜblicherweise holten wir uns am ersten Tag für das jeweilige Land die lokale Währung am nächsten Geldautomaten. So hatte es zumindest vorher in Aserbaidschan und Georgien funktioniert und so war zumindest der Plan auch in Jermuk. Nachdem wir keinen Geldautomaten gefunden hatten, fragten wir einen Taxifahrer um Rat. Der bot freundlicherweise an, uns die 40km bis zum nächsten Geldautomat zu fahren, was wir aber höflich ablehnten. Ein Blick in unsere Geldbörsen ergab, dass wir nur noch eine sehr begrenzte Menge US-Dollar dabei hatten, aber noch genügend Euro.

    Also ging es in einen Minimarket/Tante-Emma-Laden mit grandios guten Oliven, an die sich der aktuelle JuLi-Bundesvorsitzende wahrscheinlich noch heute freudig zurückerinnern wird. Dort versuchten wir den Ladenbesitzer zu überzeugen, diese komischen Banknoten mit dem € drauf zu akzeptieren. Dank der Übersetzungsleistung einer armenischen Freundin tat er das dann auch, wenn auch skeptisch und etwas widerwillig. Gekauft wurden ein Kasten Bier, ein paar Softdrinks, ein wenig Wodka und viele Oliven. Der Gegenwert in Euro war bei normalen Wechselkurs so gering, dass wir dem Händler einen verdammt guten Euro-Kurs gemacht haben.

    Als wir am nächsten Tag wieder kamen, hatte er zwischendrin wohl geprüft, was diese komische bunte neue Währung wert war und war mit unserem Wechselkurs mehr als zufrieden. Wir haben in der Woche noch drei Mal bei ihm eingekauft und am letzten Tag verabschiedete er uns, in dem er uns ein „langes und gesegnetes Leben“ wünschte.

    So haben junge Liberale den Euro nach Jermuk gebracht, nachdem wir einen Umweg fahren mussten, um nicht in die rituelle Aufrechterhaltung des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien zu kommen. Das ist allerdings – genau wie die Granathülsen auf dem Parkplatz unseres Autos in Gori – eine andere Geschichte.

     

    In loser Folge möchte ich über kuriose und besondere Momente (positiv wie negativ) in inzwischen fast 20 Jahren Politik berichten. Beginnen möchte ich mit einer der witzigeren Geschichten aus dem Jahr 2001. Spoiler: Es wird eine „Opa-erzählt-vom-Krieg“-Geschichte, aber das dürfte in dieser Rubrik fast immer der Fall sein.

  • Symbolbild Überwachung

    Die Freiheit ist bedroht – der nie gedruckte Leserbrief zur Vorratsdatenspeicherung

    Leider akzeptiert die HNA keinen Leserbrief von mir, da ich politisch aktiv bin, hier deshalb meine Erwiderung auf den HNA-Kommentar von Herrn Kollhoff:

    Sehr geehrter Herr Kollhoff,

    als politisch Aktiver gebe ich mit Sicherheit einiges von meinem Leben auf Facebook preis. Aber viel weniger, als die Vorratsdatenspeicherung beim Staat für jeden Bürger hinterlegt: Ich finde nicht, dass der Staat wissen muss, wann CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer auf seinem Handy mit seiner Affäre telefoniert hat. Ich finde nicht, dass der Staat wissen muss, wann CDU-Politiker Wolfgang Bosbach den Anruf von seinem Arzt bekommen hat, dass er Krebs hat. Ich finde nicht, dass der Staat wissen muss, dass ich vorgestern mit einem Kreistagskollegen einer anderen Partei SMS geschrieben haben. Ich möchte selbst entscheiden, ob ich jemanden darüber informiere, wann ich klettern gehe oder einen Kaffee mit Ihrem Politikchef trinke. Über die Telefondaten meines Smartphones wäre all dies sonst feststellbar und ich könnte es nicht mehr selbst entscheiden. Diese Freiheit würde mir und jedem Bürger mit der von Ihnen unterstützten Vorratsdatenspeicherung genommen. Um es mit einem Zitat, dass ich auf Facebook und Twitter gesehen habe, zu sagen:

    „Der Staat weiß mit wem K., wann telefoniert hat. Der Zoll weiß, wann K. Mittagspause gemacht hat. Das Jobcenter weiß, wieviel K. besitzt. Die EU weiß, wohin K. fliegt. K. ist unfrei.“

    Anders ausgedrückt: Einem Vertreter der Union hat vor ein paar Jahren ein 14-Jähriger Schüler bei einer Podiumsdiskussion gesagt: „Wer nichts zu verbergen hat, führt ein furchtbar langweiliges Leben.“ Wenn Ihr Leben so ist, dass Sie alles öffentlich machen, oder das Leben von Heiko Maas, Thomas de Maizière, Sigmar Gabriel so langweilig ist, dass sie nichts zu verbergen haben – dann ist das vollkommen in Ordnung. Ich möchte die Freiheit behalten, auch ein weniger langweiliges Leben zu führen und nicht, dass der Staat Sie, mich, meine Nachbarn und Freunde alle als potentielle Schwerverbrecher ansieht und ständig überwacht. Genau das tut aber, die Vorratsdatenspeicherung.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ihr Lasse Becker

  • Das hessische Opfer der NSU-Morde heißt Halit Yozgat.

    Vor vier Jahren stand ich in Kassel in der Menschenkette zum Gedenken an Halit Yozgat. Hätte man mich damals gefragt, ob ich es für möglich halte, wie tief der hessische Verfassungsschutz in diesen abscheulichen Mord verstrickt zu sein scheint, dann hätte ich das verneint.

    Fast jeden Tag fahre ich am Ort des Mordes mit dem Auto vorbei. Heute – am neunten Jahrestag des Mordes an Halit Yozgat – werde ich wieder in Kassel stehen, bei derGedenkveranstaltung u.a. der IG Metall Nordhessen. Ich bin nicht bereit, es hinzunehmen, dass in einem Rechtstaat Menschen ermordet werden und der Staat sich nicht einmal zu fragen scheint, was er zur Aufklärung beitragen kann.

    Als Volker Bouffier in einem weinerlichen Statement in Wiesbaden erklärte, dass er von all dem nichts gewusst habe, erschien mir das ein so absurdes Theater, dass ich danach wütend war – wütend über einen Ministerpräsidenten, der so tut, als wäre er selbst ein Opfer, wütend über einen Verfassungsschutz, der nicht unsere Verfassung schützt, sondern mit Füßen tritt, wütend über eine Gesellschaft, die duldet, dass Schlapphüte so tun können, als wären ihre Agentenspiele wichtiger als Menschenleben.

    Bei Torsten Denkler von der Süddeutschen konnte man nachlesen, dass unklar ist, ob der Schutz von Opfern immer im Mittelpunkt stand (Fromm spricht für die bundesweiten – sogenannten – Verfassungsschützer):

     

    — Thorsten Denkler (@thodenk) 5. Juli 2012

    Das darf in einem Rechtstaat nicht sein.

    Wenn dann in Hessen mehrere Verfassungsschützer ausweislich der Mitschnitte von einem Mord wussten und nichts getan haben und danach noch von ihrem Innenminister beschützt und vor Strafverfolgung bewahrt werden, dann stellt sich nicht die Frage, ob Volker Bouffier Opfer ist, wie man den Eindruck bei seinem weinerlichen Auftritt in Wiesbaden gewinnen konnte, sondern vielmehr, ob er sich nicht selbst zum Mittäter eines Mordes gemacht hat.

    Ich habe schon bei der Eröffnung des Landesparteitags der Freien Demokraten in Wetzlar bewusst gesagt:

    „Wir als Politiker haben die Aufgabe, alles, aber auch wirklich alles zu tun, um die Aufklärung des hessischen NSU-Mordes zu ermöglichen.

    Allein dass es so viele gut begründete Verdachtsmomente gibt, dass der Verfassungsschutz, der eigentlich unsere Verfassung, wie der Name schon sagt, schützen soll, in einen Mord verstrickt ist, ist vollkommen unerträglich.

    Der hessische Ministerpräsident und damalige Innenminister kann und darf sich nicht zurückziehen auf die Position, dass man dem Verfassungsschutz nachweisen müsste, dass er in die Morde verstrickt wäre.

    Nein, aufgrund Ihres Amtseides müssen SIE, Volker Bouffier, endlich deutlich machen und beweisen, dass der hessische Verfassungsschutz und damit indirekt SIE eben nicht von einem Mord wussten.

    Und dabei darf keine Rücksicht darauf genommen werden, ob etwas die CDU, die FDP, die Grünen, die SPD oder sonst wen betrifft. Dass unsere Landtagsfraktion dies sachlich aber bestimmt in der Ermittlung vorantreibt, ist richtig und verdient unseren Respekt. Denn, dass im Leitbild der Freien Demokraten steht, dass Freiheit und Menschenrechte weltweit gelten sollen, heißt eben auch, dass die Menschenrechte in Deutschland immer gelten müssen und eigentlich der Staat noch nicht mal in den Verdacht kommen dürfte, Neonazis bei einem Mord zu decken.“

    Ein Ministerpräsident, der diesen Verdacht nicht endlich klar ausräumt, darf nicht länger Ministerpräsident sein.

    Ich bin immer noch wütend, weil ich heute wieder am Halit-Platz stehen werde, wie vor vier Jahren und wir bei der Aufklärung kaum einen Schritt weiter sind.

     

    PS.: Die Behauptung Sigmar Gabriels, die Vorratsdatenspeicherung hätte die NSU-Morde verhindert, ist so absurd und eklig, dass man sie eigentlich nicht zu kommentieren zu braucht. War ja jetzt nicht so, als hätten die Behörden nicht genügend Hinweise gehabt.

     Da einige noch um weitere Informationen gebeten hatten, hier eine kurze Liste an Informationen (ergänzt am 6.4.2015):

    1. Die V-Leute durften wegen Bouffier nicht aussagen.

    2. Der Verfassungsschützer der vor Ort war, kann nach den Tatortbegehungen das Mordopfer nicht übersehen haben (gibt da eine Nachstellung, die in diversen Medien aufgegriffen wurde).

    3. Sogar die Richter haben den Verfassungsschützer als absolut unglaubwürdig dargestellt.

    4. Bei den anderen Verfassungsschutz-Organisationen sieht es nicht besser aus.

    5. Zitat vom Kontaktmann des Verfassungsschützers „Ich sage jedem, wenn er weiß, dass so etwas nicht passiert … nicht vorbeifahren“ spricht auch Bände. Zumal, wenn es zufällig in der Polizeimitschrift „vergessen“ wurde und erst von den Nebenklage-Anwälten zufällig beim Abhören der Bänder festgestellt wurde.

  • Und wir stehen weiter – auch wenn es Euch nicht passt!

    In dieser Legislaturperiode hab ich schon zig Male von Grünen und Piraten gehört, dass die Liberalen bei der Vorratsdatenspeicherung noch umfallen werden. Diese Beschuldigungen kamen quasi im Monatstakt. Und nun? Heute, vier Jahre nach dem Start dieser Koalition, bin ich stolz auf meine FDP, die mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, mit Gisela Piltz, mit Hartfrid Wolff, mit Marco Buschmann und mit vielen anderen Kurs gehalten hat! Es gibt keine Vorratsdatenspeicherung.

    Auch wenn der hessische Ministerpräsident in einem Interview sagte, dass die Vorratsdatenspeicherung  etwas ganz anderes sei als PRISM oder TEMPORA: sie ist das Ganze privatisiert in klein – quasi PRISM light.

    Es überwacht dann nicht der Staat direkt, sondern er zwingt die Telekommunikationskonzerne dazu, das Ziel jeder Verbindung, jede IP-Adresse im Internet und jede SMS zu speichern. Natürlich sind damit nicht Inhalte abgedeckt, aber auch bei der Frage, wann und mit wem man kommuniziert, geht es um private Informationen. Deshalb: Nein zu PRISM light, nein zur Vorratsdatenspeicherung auch wenn es der Union nicht passt. Wir werden weiter standhaft bleiben.

    Schlussendlich fast es der Satz eines damals 14-Jährigen bei einer Podiumsdiskussion in Lohfelden im Landkreis Kassel schön zusammen:

    Der Unionsvertreter betonte:

    „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“

    Der 14-Jährige erwiderte:

    „Wer nichts zu verbergen hat, führt aber auch ein furchtbar armseliges Leben.“

    Ja, ich habe viele Dinge zu verbergen, die niemanden etwas angehen und schon gar nicht den Staat. Ihr auch?

    Dann kommt am kommenden Samstag nach Berlin zu „Freiheit statt Angst“. Wir müssen unsere #Freiheit jeden Tag wieder verteidigen!

    Hier gibt es den Link zum Facebook-Event zu „Freiheit statt Angst“

  • „Wo kommen Sie denn her – also so richtig?“

    Beitrag im „freiraum“, der Zeitschrift der Stipendiatinnen und Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

    Mein ehemaliger Mitbewohby Maryanne Rodriguezner und sehr guter Freund Rabi kommt aus Kassel. So richtig. Er wurde hier geboren. Er ist in Kassel in die Grundschule gegangen. Er ist gemeinsam mit mir auf das altsprachliche Gymnasium gegangen und hatte im Gegensatz zu mir sogar Altgriechisch. Er hat danach in Göttingen Medizin studiert. Heute ist er promovierter Chirurg.

    Es ärgert mich jedes Mal wieder, wenn ich den folgenden Dialog höre. Irgendwie ist er für mich typisch deutsch und spiegelt die verzweifelte Suche nach irgendeiner Schublade wider. Meistens beginnt so ein Gespräch mit einem noch relativ unverfänglichen:

    „Und, wo kommen Sie denn her?“
    Antwort: „Aus Kassel.“
    Frage: „Und so richtig?“
    Antwort: „Naja, ich bin in Kassel geboren.“
    Frage: „Aber was steht denn in Ihrem Pass?“
    Antwort: „Auch Kassel, ist ein deutscher Pass.“
    Frage: „Aber wo stammen Sie denn her?“

    Mit genügend Elan ließe sich dieser absurde Dialog wohl ins Unendliche fortsetzen. Und warum? Weil Rabi nicht Stefan heißt und vor allem nicht so aussieht wie ein Stefan (um in den Schubladen zu bleiben). Rabis Eltern stammen aus Indien und das sieht man ihm an. Es macht mich wütend wenn ich solche Gespräche höre und üblicherweise sage ich das denjenigen auch. Aber der Drang nach Schubladendenken ist wohl zu groß in unserer Gesellschaft. Irgendwie kommen nur sehr wenige auf die Idee, ihn in die Schublade „Arzt“ oder wahlweise auch „Altsprachler“ oder „Deutscher“ zu stecken, obwohl er dort besser hineinpassen würde – in die letzten beiden wohl noch besser als ich, zumindest ausweislich seiner Latein-/Griechisch- und Deutschnoten zu Schulzeiten.

    Eine tolerante Willkommensgesellschaft sollte nicht darauf achten, woher jemand kommt, sondern was er für unsere Gesellschaft bewegen will. Wir sollten offen sein, statt unsere Zeit mit der Suche nach der nächstbesten Schublade zu verschwenden.
    Vor kurzem saß ich bei einem Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen deutschen Pharmakonzerns. Dieser Konzern hat eine Auslandsniederlassung geschlossen und den betroffenen Mitarbeitern angeboten, entweder nach Deutschland in den Hauptsitz zu wechseln oder in die Außenstelle in den USA. Fast alle haben sich für die USA entschieden. Das ist nur ein Beispiel, aber ich denke es steht für eine Situation, die uns zu denken geben sollte. Es hat wohl weniger mit der Bürokratie zu tun, zumindest meinte das mein Gesprächspartner, sondern mehr mit der fehlenden Willkommenskultur in Deutschland, die unser Bild im Ausland negativ prägt.

    Das werden wir nicht durch eine politische Order ändern können. Aber wir können jeden Tag daran arbeiten. Wir müssen Alltagsrassismus entgegentreten, wenn er für uns sichtbar wird.
    Im Frühjahr dieses Jahres hatten wir diesbezüglich  eine Diskussion  über den Umgang mit Philipp Rösler. Zu diesem Thema möchte ich aus einer Mail zitieren, die mich erreicht hat:

    „Sehr geehrter Herr Becker,

    der „Chinese muss weg“ ist für mich primär nicht rassistisch, sondern ein Gleichnis für das jämmerliche Erscheinungsbild, das Rösler abgibt. […]“

    Herzlichen Glückwunsch an den Verfasser – eine bessere Zusammenfassung für Alltagsrassismus dürfte in einem Satz kaum möglich sein. Ich bin auch der Meinung, dass Rösler Fehler gemacht hat. Man kann auch der Meinung sein, dass er kein gutes Erscheinungsbild abgibt. Aber das hat schlicht nichts mit seinem asiatischen (und das Land stimmt noch nicht mal) Geburtsort zu tun.

    Aber nicht nur bezüglich der Herkunft und des Aussehens denken wir in Schubladen: Alan Posener hat in der Welt einen spannenden Artikel über die positiven Auswirkungen von Vorhängen für die Qualität von amerikanischen Orchestern geschrieben:

    Seitdem die US-amerikanischen Orchester Musiker bei Bewerbungsverfahren hinter einem Vorhang vorspielen lassen sind laut einer Studie aus Princeton die Chancen durch die Vorrunde zu kommen für weibliche Musikerinnen um 50 Prozent und durch die Endrunde zu kommen um 300 Prozent gestiegen. Auch bei Musikern scheint die Schublade „Frau“ wichtiger als die Schublade „musikalisches Talent“ gewesen zu sein.

    Vielleicht lässt sich diese Erkenntnis nicht unmittelbar auf andere Bereiche übertragen und ich bin selbst noch zwiegespalten, was zum Beispiel anonyme Bewerbungsverfahren angeht – auch und gerade nach den Bewerbungsverfahren, die ich selbst  auf beiden Seiten des Tisches mitgemacht habe. Aber auch ohne staatliche Regelung kann man als Unternehmen durchaus darüber nachdenken und diese Gedanken sollten auch wir nicht einfach aus Reflexen  ablehnen und direkt wieder in eine Schublade packen.

    Mein letztes Beispiel für Schubladendenken stammt direkt hier aus der Stipendiatenschaft und von den Jungen Liberalen. Viele Stipendiaten sehen die Jungen Liberalen als „arrogante, aber ungebildete Politiker, die von Theorie keine Ahnung haben“ und andererseits sehen manche JuLis die Stipendiaten als diejenigen, die „ohne sich zu engagieren und teilweise ohne liberal zu sein abgehoben reden aber vor allem Geld mitnehmen wollen“. Beide Kommentare hat man mir gegenüber tatsächlich geäußert. Am  deutlichsten lässt sich die Schublade mithilfe der Aussage eines Stipendiaten bei einem jugendpolitischen Forum (PPW) der FNF beschreiben, als es um das liberale Grundsatzprogramm ging: „Naja, das ist alles nett hier, aber die Sitzungsleitung hat das Niveau der Naumann-Stipendiatenschaft intellektuell nicht erreicht und die Diskussion hat auch nicht die philosophische Tiefe.“ Die Sitzungsleitung hatten zwei Studienstiftler, im Raum waren bis auf drei oder vier Ausnahmen (mich damals noch eingeschlossen) ausschließlich Stipendiaten oder Altstipendiaten der Naumann-Stiftung (5-6), der Studienstiftung des Deutschen Volkes (3-4) und der SDW (1-2). Einige der Anwesenden haben im Bereich Philosophie oder ähnlichen Fächern promoviert oder wurden gebeten hier zu promovieren. Ich bin mir sicher, dass auch Stipendiaten ähnliche Geschichten mit umgekehrten Vorzeichen über die JuLis berichten könnten. Auch wir sind alle nicht davor gefeit, im Schubladendenken zu verharren.

    germany-land-of-opportunitiesIn manche der beschriebenen Fallen des Schubladendenkens dürfte ich selbst schon einmal gefallen sein. Manchmal braucht man eine Schublade vielleicht zur Vereinfachung, zur Annäherung oder um etwas zu verstehen –  aber man darf dann nie abschließen, sondern muss sich ab und an zwingen, den Schreibtisch aufzuräumen. In den allermeisten Fällen schadet das Schubladendenken, es schürt und festigt Vorurteile.

    Wir werden dieses Problem nicht mit Verordnungen  auflösen können. Um das Schubladendenken zu überwinden, brauchen wir meiner Meinung nach vor allem kritische Selbstreflexion und Ironie, um für Toleranz und Respekt einzutreten. Eine alte Kampagne der Agentur Serviceplan fasste es  auf einem Plakat gut zusammen: „Foreign minister gay, chancellor female, health minister Vietnamese… And you think America is the land of opportunity? Come to Germany, land of opportunities!”

    Das müssen wir leben und dafür eintreten – bei uns selbst genau wie gegenüber anderen.

  • Wir haben das Recht auf einen neutralen Staat

     

    Beitrag zum Pro & Contra deer Hessendepesche der FDP Hessen zum Thema „Trennung von Kirche und Staat“

    Vorweg: Ich bin Mitglied der evangelischen Kirche und hatte noch nie das Verlangen auszutreten, obwohl die politischen Avancen der Kirchenoffiziellen mein Verständnis bis an die Grenzen strapazieren. Aber: Religion ist Privatsache.

    Es ist gut, wenn wir in Hessen den islamischen Religionsunterricht einführen, aber nicht aus religionspolitischer Sicht, sondern aufgrund seiner Bedeutung für die Integration in Hessen.

    Als Liberaler halte ich es für falsch, wenn das Finanzamt meinen „Mitgliedsbeitrag“ für die Kirche einzieht, genauso falsch übrigens, wie irgendwelche Tanzverbote vor Feiertagen. Es käme wohl niemand von uns auf die Idee, einen politisch neutralen Staat aufzufordern, den FDP-Mitgliedsbeitrag einzuziehen oder einen Tag vor Dreikönig das Tanzen zu verbieten, damit alle am nächsten Morgen die FDP-Liveübertragung verfolgen können. Warum also soll der offiziell weltanschaulich neutrale Staat für die ihm genehmen Religionsgemeinschaften diese Services anbietet? Das ist nicht seine Aufgabe, insbesondere nicht, wenn die christliche Nächstenliebe in katholischen Krankenhäusern bei Vergewaltigungsopfern mit Füßen getreten wird und die Kirchen durch weitere Skandalen ihren moralischen Aanspruch torpedieren. Wir brauchen deshalb eine echte Trennung von Kirche und Staat. Davor hätte eine mutige und selbstbewusste christliche Kirche nicht so viel Angst. Sie käme ohne das staatliche Schutzmonopol aus. Wir alle sollten selbst entscheiden, ob wir christlich, muslimisch oder eben nicht-religiös sein wollen ohne –  einseitiges Eingreifen des Staates.

    „Das Finanzamt zieht ja auch nicht den FDP-Mitgliedsbeitrag ein und sorgt dafür, dass einen Tag vor dem Dreikönigstreffen niemand Tanzen darf.“

    Mehr zur JuLi-Beschlusslage: http://jul.is/12rk

     

    Bild: CFalk pixelio.de

  • Von Tittenblondinen, dummen Sprüchen und Sexismus

    JuLi-TourEine nüchterne Bestandsaufnahme für Politik und Journalismus von Lasse Becker und Björn Försterling MdL

    Die deutsche Politik ist sexistisch. Genauso wie der deutsche Journalismus. Das Leben ist selten schwarz oder weiß, sondern häufig grau. Was heißt das also konkret? Das vergessen, diejenigen, die sich als Journalisten in der aktuellen Diskussion auf Rainer Brüderle stürzen ebenso wie mancher, der das Verhalten Brüderles unreflektiert als normales Flirtverhalten bezeichnet. Aber wie sieht es heute aus mit dem Sexismus in Politik und Journalismus?

    Wir greifen hierzu drei Artikel bzw. Passagen aus Artikeln von Journalistinnen der letzten Woche heraus, analysieren und bewerten sie: Sonja Süß für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung („Lachsersatz“, leider online nicht kostenlos verfügbar, kann hier erworben werden), Annett Meiritz für den Spiegel („Man liest ja so einiges über Sie“) und etwas umfangreicher Laura Himmelreich für den Stern („Der Herrenwitz“, leider online nicht kostenlos komplett verfügbar, über GBI kann er vom 24.1.2013 bezogen werden).

    Keiner von uns ist gefeit vor Ausrutschern und gerade in den letzten Tagen haben wir natürlich auch unser eigenes Verhalten kritisch hinterfragt. Der eine von uns hat sich bei der Frage ertappt, ob er schonmal Frau Himmelreich auf die Brüste geschaut hat, der andere, ob er ihr eindeutig wirkendes Flirten bei einer Hintergrundrecherche über Philipp Rösler missinterpretiert haben könnte. Beide haben wir mit Sicherheit in der Vergangenheit schon doppeldeutige Sprüche gemacht, die man als Sexismus oder Chauvinismus werten könnte. Das macht es aber nicht besser. Wir schwingen bewusst nicht die Moralkeule über irgendjemanden. Aber wir sind fest davon überzeugt: Die deutsche Politik hat ein gewaltiges Problem mit Sexismus und dem Umgang mit Frauen. Wenn Oliver Olpen in der Neuen Presse ein Problem darin ausmacht, dass Politik vor allem ein Männerclub sei, hat er einfach recht. Das sorgt für eine Atmosphäre, die Probleme erzeugt beziehungsweise potenziert … und zwar egal ob bei der CDU, der SPD, den Grünen, der Linken oder eben der FDP. Wenn eine junge Frau nach einer Kandidaturrede auf einem Landesparteitag zu hören bekommt, wie arm ein Mann sei, der sich in sie verliebt, dann ist das genauso wenig hinnehmbar, wie anzügliche Sprüche oder Bitten nach spezieller Kleidung für Termine, nicht gewollte und aufdringliche körperliche Nähe in Sitzungen  oder vieles mehr, was Frauen in der Politik erleben müssen. Die Beispiele vorher stammen übrigens aus drei verschiedenen deutschen Parteien. Dieses Problem zeigt sich auch im Umgang und in den Reaktionen auf manche aktuelle Berichterstattung: Genau wie mancher Pirat mit einer Attitüde zwischen „Sie hat es doch auch gewollt“ und „In Wahrheit hatte sie etwas mit ihm“ auf den Bericht von Frau Meiritz reagiert hat, tun es doch leider auch viele aus den Reihen der FDP auf den Artikel von Frau Himmelreich. Ausdrücklich für unsere Parteifreundinnen und Parteifreunde: Wir waren nicht dabei, wir wissen nicht was passiert ist, aber wir sind der Überzeugung, dass gewisse Kommentierungen der letzten beiden Tage unangemessen waren.

    Aber ist es unter Journalisten wirklich so viel anders? Sind es nicht gerade Journalisten, die Katja Suding oder Silvana Koch-Mehrin immer auf ihr Aussehen reduzieren?

    Uns ist kein Fall bekannt, in dem David McAllister oder Christian Lindner bescheinigt worden wäre, dass sie nur wegen ihres Aussehens Spitzenkandidaten für die CDU in Niedersachsen oder die FDP in Nordrhein-Westfalen gewesen wären. Daniel Bahr war früher das Werbemotiv für FDP-Kandidatenplakate bei einer kompletten Kampagne, ohne dass ihn heute jemand darauf reduzieren würde. Man stelle sich vor, die Liberalen würden eine Plakatserie mit einer gutaussehenden Jungen Liberalen machen: Die Medien würden ihr das ein Leben lang vorhalten, sie auf das Äußere reduzieren und dafür sorgen, dass es ihr schwer fallen würde ernst genommen zu werden. Der Stern selbst schreibt, dass manche Redaktionen bewusst junge Journalistinnen auf Politiker ansetzen. Da darf man sich schon die Frage stellen, an welcher Stelle Journalismus endet und Prostitution anfängt. Die Berliner Medienlandschaft ist mindestens genauso sexistisch wie die Politik. Ein entlarvendes Beispiel hierfür ist unser erster Artikel:

     

    Titel: „Lachsersatz“

    Autorin: Sonja Süß

    Medium: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

    Generelle Glaubwürdigkeit: Mittel. Ihre Reportage dreht sich eigentlich darum, wie hungrig man als freie Journalistin ohne Geld auf einer Wahlkampftour wird. Sie behauptet in einer Jugendherberge 20 Euro ohne Frühstück bezahlt zu haben. Wir haben auf unserer von ihr beschriebenen 72h-Wahlkampftour in Jugendherbergen übernachtet. Das Frühstück war bei uns immer inklusive. Und auf dem Weg zur Jugendherberge in Osnabrück am Ende hatte sie das explizite Angebot mit dem Tourbus mitgenommen zu werden. Wir hätten sie auch zur Pizza in die FDP-Kreisgeschäftsstelle miteingeladen, dann hätte sie sich die 23,80 Euro für das Pizzaessen sparen können. Wir kennen im Übrigen kaum JuLis, die abends mal für 23,80 Euro Pizzaessen gehen. Und was das Eis, spendiert vom JuLi-Bundesvorsitzenden angeht: Tim Braune von dpa hat übrigens auch davon gegessen. Also zumindest drei Fehler, obwohl die FAS behauptet, dass „alles andere stimmt“…

    Zitat zum Thema: „Im Bus gibt Rösler abwechselnd Fernsehinterviews, erzählt den Journalisten von seiner Jugend in Bückeburg und rückt für Tittenblondinen zur Seite, die sich für Erinnerungsfotos zwischen ihn und Birkner auf die Sitze im Bus quetschen.“

    Wir fragen uns, was mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung passiert ist, dass sie den Begriff „Tittenblondine“ für eine adäquate und natürlich vollkommen unsexistische Wortwahl zur Berichterstattung über wen auch immer hält. Bei der 72h-Wahlkampftour der Julis waren über 30 engagierte junge Menschen, die sich für Politik begeistern und ihre Freizeit dafür opfern Wahlkampf zu machen. Im Übrigen gehören das Werben für seine Positionen und damit auch der Wahlkampf zur Demokratie dazu. Und selbstverständlich möchte man viele Eindrücke und Erinnerungen von solch einer Tour mitnehmen, so dass auch Fotos gemacht werden. Warum wird jetzt also eine junge Frau, die sich in ihrer Freizeit politisch engagiert in der FAS auf ihre Haarfarbe und ihre Brüste reduziert? Hat die Autorin überhaupt mal ein Wort mit ihr geredet? Hat die Autorin sie mal gefragt, weshalb sie sich engagiert? Wäre das nicht ein anspruchsvollerer Inhalt gewesen, als die Abhandlung über Fischbrötchen? Wer sollte mit diesem Sexismus diskreditiert werden? Rösler, die Jungen Liberalen oder die junge Frau? Eine Entschuldigung der Chefredaktion und der zuständigen Journalistin bei den Betroffenen in der FAS am kommenden Sonntag wäre eine angemessene Reaktion. Wir haben eine Vermutung, wer gemeint sein könnte und warten bis dahin auf den Aufschrei der deutschen Medien über den Sexismus der FAS.  Diesen Aufschrei gab es – zu Recht – bei unserem zweiten Artikel:

     

    Titel: “Man liest ja so einiges über Sie“

    Autorin: Annett Meiritz

    Medium: DER SPIEGEL und Spiegel online

    Generelle Glaubwürdigkeit: Leider hoch, uns sind bei dem Zitat sofort mehrere Personen aus unseren eigenen Reihen eingefallen, von denen manche Aussage stammen könnte. Die Wahrheit des Teils über die Piraten können und wollen wir auch nicht beurteilen. Vielmehr zeigt der Artikel auf, dass Sexismus in der Politik vorkommt, ebenso wie in der Gesellschaft, was aber nicht als Ausrede genutzt werden darf.

    Zitat zum Thema:  „Es fühlt sich nicht gut an, wenn mir ein Europaparlamentarier im Vorbeigehen eine Visitenkarte in die Hand drückt, sein Gesicht nah heranschiebt und murmelt: „Sie können sich immer melden. Egal, worum es geht.“

    Leider fielen uns sofort einige Abgeordnete ein, von denen ein solcher Spruch stammen könnte. Insgesamt kann man festhalten, dass dieser Artikel wohl in seinem allgemeinen Teil am ausgewogensten darstellt, warum und wie sich Sexismus in der Politik – auch jenseits der Extremfälle der Piraten – hält. Politik ist überwiegend eine Männerveranstaltung und daher versehen mit einem Überschuss an Testosteron. Und dieser Überschuss muss raus. Er endet dann häufig in einem verbalen Brunftkampf. Da gibt es keine Unterschiede zwischen den Männergesprächen abends an der Bar nach Parteitagen und den Männergesprächen in der Umkleidekabine nach einem Fußballspiel der 3. Kreisklasse. Alle, die darin einen plumpen Vergleich vermuten, möchten wir bitten, sich in die Situation der Autorin hineinzuversetzen. Nein, nicht in die Autorin, sondern in den Gesprächspartner nach Ende des Gesprächs: Parteitagsabend. Ihr habt gerade abends beim Essen lange mit der Journalistin gesprochen. Nach dem Gespräch verlässt sie den geselligen Abend, ihr bleibt noch. Ihr geht zurück an die Bar, wollt mit den anderen Delegierten (vermutlich nur Männer) noch etwas trinken. Ihr werdet auf die Situation angesprochen. Vermutlich nicht mit den Worten „War das Gespräch mit der Journalistin erkenntnisreich für beide Seiten?“, sondern eher mit den Worten „Na, was ging da mit der Kleinen?“ Und jetzt die Frage an Euch, was würdet Ihr – mal ehrlich – antworten?

    Und das ist ein Problem. Die Erfahrungen, die wir aus allen deutschen Parteien gehört haben und aus unserer eigenen Partei kennen, sprechen da leider eine eindeutige Sprache. Das zeigt Frau Meiritz in einem sauber ausgearbeiteten Bericht ohne Andeutungen und Unterstellungen auf, im Gegensatz zu unserem dritten Artikel:

     

    Titel: „Der Herrenwitz“

    Autorin: Laura Himmelreich

    Medium: Stern

    Generelle Glaubwürdigkeit: Durchwachsen. Manchen zotigen Spruch trauen wir Rainer Brüderle zu, aber insbesondere das Timing einen Tag nach der Nominierung als Spitzenkandidat und ein Jahr nach dem beschriebenen Ereignis lässt die Motivlage des Stern zumindest fraglich erscheinen. Wir waren nicht dabei und können weder belegen, noch widerlegen, was die Autorin schildert.  Mancher Spruch erscheint uns glaubwürdig, manche andere Behauptung weniger. Aber die Ehefrau von Rainer Brüderle in den Artikel mit hineinzuziehen ist journalistisch mehr als unsauber und die Bildunterschrift mag lustig klingen, ist aber nicht mehr als eine Beleidigung.

    Zitat zum Thema: „Katja, komm doch mal her. Du siehst doch gut aus“, sagt er. Im Gegensatz zu dem männlichen Kollegen durfte sie auf dem Podium nichts sagen. Sie war für die Optik da. „Ich gehör da gar nicht hin“, sagt Suding.

    Das Zitat macht eines der Probleme des latenten Sexismus deutlich, den Medien und Politik teilen. Frauen werden häufig auf ihr Äußeres reduziert. Jeder – egal ob jung oder alt – sollte manchen Spruch kritisch hinterfragen. Das hat nichts mit übertriebener politischer Korrektheit zu tun, sondern einfach damit, dass das etwas, was vom einen als normal aufgefasst wird, von anderen als verletzend oder sexistisch wahrgenommen wird. Man kann darüber streiten, warum Laura Himmelreich erst nach einem Jahr just einen Tag nach der Nominierung von Rainer Brüderle zum Spitzenmann der FDP diesen Artikel veröffentlicht. Man kann darüber streiten, ob die Interpretation des Dirndl-Spruches nach einem Oktoberfest-Spruch nicht als etwas ein krudes Kompliment gedacht war. Man kann darüber streiten, ob der Spruch, dass Politiker jungen Journalistinnen verfallen, sonderlich geschickt ist. Aber deshalb zu unterstellen, dass Frau Himmelreich dies befördert hätte, klingt zu sehr nach der „Sie hat es doch auch gewollt“-Logik mit der man sich alles erlauben könnte. Und nur zum Hintergrund, warum es nichts Ungewöhnliches ist, dass an der Hotelbar Journalistengespräche auch um ein Uhr nachts geführt werden: Das ist der Hauptsinn dieser Baraufenthalte. Nur dafür tingeln Staatssekretäre, Präsidiumsmitglieder und Fraktionsvorstand nachts von Tisch zu Tisch. Nur dafür reisen der JuLi-Bundesvorsitzende und der JuLi-Bundespressesprecher an. Und dann spricht man als JuLi-Bundesvorsitzender auch nachts um halb drei eben noch mit Journalisten. Aber eben nicht nur über Politik und so kann der Juli-Bundesvorsitzende nach einem Gespräch mit Laura Himmelreich mit Sicherheit behaupten, dass er ihren ehemaligen Mitbewohner zu Studentenzeiten kennt, aber nicht mehr sagen, wo er vor zwei Jahren überall hingesehen bzw. nicht hingesehen hat. Nur der schwule Ombudsmann kann sicher sagen, dass er ihr, bei ihrer Hintergrundrecherche über Philipp Rösler beim Buko in Gütersloh, nicht auf die Brüste geschaut hat, sondern sich gefragt hat, wann sie merkt, dass er nicht (reden) will.

     

    Liebe JuLis, ja, die deutsche Politik hat ein Sexismus-Problem – die CDU, die SPD, die Grünen, die Linken genauso wie unsere FDP – das sollten wir nicht wegreden.

    Liebe Medien, ja, die deutschen Medien haben ein Sexismus-Problem – die FAS genau wie der Stern – das sollten Sie nicht wegreden.

    Lassen Sie uns gemeinsam und sachlich darüber reden und dagegen kämpfen, anstatt journalistisch unsaubere Unterstellungen, Beschuldigungen und Effekthaschereien zu forcieren.

     

     

    Über die Autoren:

    Lasse Becker ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen.
    Björn Försterling ist niedersächsischer Landtagsabgeordneter und Bundesombudsmann der Jungen Liberalen.
    Beide haben zusammen mit vielen anderen JuLis vor zwei Jahren gemeinsam die Initiative gestartet, die Umgangsformen bei den Jungen Liberalen kritisch zu hinterfragen.

  • Lotusblume statt Wasserpest

    Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung zu den Kommentaren von Daniela Kuhr und Heribert Prantl:

    Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion der Süddeutschen Zeitung,

    lotusblumeIhr Kollege Heribert Prantl verglich die FDP mit der „Wasserpest“, weil sie ihr „neoliberales“ politisches Programm überall verbreiten wolle.  Damit tut Herr Prantl uns – sicherlich ungewollt – den Gefallen, den fundamentalen Unterschied zwischen seiner Weltsicht und einer liberalen direkt in seinem Kommentar mitzuliefern: Anders als Herr Prantl, der in seinem Artikel mit absoluter Selbstverständlichkeit Behauptungen darüber aufstellt, was „die Bürger“ wollen und was nicht, sind wir Liberale fest davon überzeugt, dass nur einer am besten weiß, was „der Bürger“ will: „Der Bürger“ selbst.

    Aufgrund dieser Freiheitsliebe fordern wir Jungen Liberalen die Abschaffung des Ehegattensplittings. Gebraucht wird stattdessen ein Modell, in dem die steuerlichen Grundfreibeträge aller Familienmitglieder flexibel von denjenigen in Anspruch genommen werden können, die die Familien unterhalten.  Eine bessere Begründung für diese Forderung, als sie Ihre Kollegin Daniela Kuhr nicht einmal einen Monat nach Herrn Prantls Artikel in ihrem Kommentar liefert, hätten wir kaum bieten können. Wird die Süddeutsche jetzt etwa langsam zur „Wasserpest“ oder haben Sie dazugelernt? Es scheint schon sehr doppelzüngig, dass Sie sich einerseits in ihrem Kommentar „Ehegattensplitting – Weg damit!“ selbst modern und liberal geben, inhaltlich sogar eine Forderung der Jungen Liberalen aufgreifen, und dennoch der einzigen liberalen Partei, der FDP, anlasten, die „Wasserpest“ zu sein.

    Wenn Sie bereit wären, auch Wassergewächsen Blüten zuzugestehen, würde Sie vielleicht der nächsten Schritt jungliberaler Politik interessieren: Ausgehend von der Individualbesteuerung kann man, wenn man bereit ist, außerhalb der bestehender Schranken zu denken, auch ein Lebensmodell unterstützen, das darauf baut, dass Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen – unabhängig von Verwandtschaft oder sexueller Beziehung: die Verantwortungsgemeinschaft. Wenn zwei ältere Damen und drei ältere Herren in einer Seniorengemeinschaft füreinander da sind und gegenseitig dafür sorgen, dass keiner von ihnen in ein Altersheim muss, ist das nicht weniger wert als eine gleichgeschlechtliche Ehe oder eine „klassische“ Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern – die heute ohnehin nicht mehr die Lebensrealität vieler Menschen darstellt. Vielleicht stellen Sie beim zweiten Blick fest, dass das was Heribert Prantl irrtümlich für die „Wasserpest“ hielt, beim genauen Hinschauen eine Lotusblume ist.

     

    Mit besten Grüßen

    Ihr Lasse Becker
    Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen

  • Für Meinungsfreiheit kämpfen heißt nicht, Blödsinn unwidersprochen zu lassen

    Auf der Demonstration Freiheit statt AngstNachdem ich das vierte Mal als Referent der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit im Südkaukasus teilgenommen habe, geht es diesmal im Blog um die Meinungsfreiheit:

    Wenn wir zum Beispiel über Meinungsfreiheit  in Armenien reden, dann geht es darum, dass Seminarteilnehmer zusammengeschlagen werden, dass Demonstranten aus politischen Jugendorganisationen im Gefängnis landen, dass Versammlungen schlicht verboten werden. Das sind grundsätzliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit, gegen die wir mit unseren Partnern vor Ort kämpfen. Demokratie und Freiheit sind Grundwerte, die man wahrscheinlich erst in einem undemokratischen und unfreien Umfeld wirklich schätzen lernt.

    Zur Meinungsfreiheit gehört  aber auch, dass man sich  vor Diskussionen nicht versteckt. Angela Merkel hat vollkommen zu recht Kurt Westergaard für seinen Beitrag zur Meinungsfreiheit geehrt. Es ist nicht hinnehmbar, wenn aus religiöser Intoleranz die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird. Nur dabei ist es mir egal, ob es die katholische Kirche bei „Popetown“ (einer relativ schlechten Fernsehserie, an die sich heute wahrscheinlich  kaum ein Mensch erinnert) oder Muslime bei Muhammed-Karikaturen sind: Die damalige Idee, ein „Malen nach Zahlen“ als Reaktion aus den kritisierten Motiven im Mitgliedermagazin j+l zu machen, habe ich durchaus richtig gefunden. Nur: Man kann für die Meinungsfreiheit streiten und trotzdem die inhaltlichen Positionen ablehnen.

    Ich fand „Popetown“ dumm und teile Sarrazins Äußerungen nicht, trotzdem würde ich immer dafür kämpfen, dass ein solches Buch oder eine solche Ramsch-Serie erscheinen dürfen.

    Allerdings ist das für mich eine Selbstverständlichkeit in einem  demokratischen und toleranten Staat wie Deutschland. Und NEIN: Ich muss nicht in einem Blogeintrag über Sarrazin etwas zu Meinungsfreiheit sagen, wenn ich seine Aussagen kritisiere. Aber ich käme ja auch nicht auf die Idee, wenn ich in einer Pressemitteilung die Jusos  für unsinnige Forderungen zum Mindestlohn kritisiere, dahinter zu schreiben „Aber ich respektiere natürlich, dass die Jusos eine andere Meinung haben.“

    Das ist selbstverständlich. Oder sollte es zumindest sein.

    Deshalb sollten wir uns auf den wirklichen Schutz der Meinungsfreiheit zurückbesinnen. Die Gefährdung war zum Beispiel nach den Westergaard-Karikaturen da. Und sie ist – wie ich am Wochenende wieder vor Augen geführt bekommen habe – in vielen Ländern der Welt weitaus kritischer. Deshalb müssen wir bei uns selbst, aber auch bei anderen für das Recht auf freie Meinungsäußerung kämpfen.

    Ich freue mich durchaus über jede E-Mail, die ich dazu bekomme – gerade nach der Kritik an den Seehofer-Äußerungen vom Wochenende – allerdings gehört zur Meinungsfreiheit auch ein Verzicht auf verbale oder reale Gewalt und deren Androhung gegen Leute, die nicht die gleiche Meinung haben … nur so als kleine Ermahnung an manchen wutschnaubenden E-Mail-Verfasser der letzten Tage.

  • Klares Nein zum JMStv!

    Artikel in der Frechen Freiheit (Parteitagszeitung der Jungen Liberalen) vom heutigen Tag zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag

    Manchmal ist es schwierig mit einem Koalitionspartner zu regieren, der bei wichtigen Zukunftstechnologien noch ein Jahrhundert zurückzuliegen scheint und anstatt im Zeitalter des Internets noch im Zeitalter des Rundfunks stehen geblieben ist. Das gilt ohne Zweifel beim Jugendmedienschutzstaatsvertrag, bei dem verhandelt vom ausgewiesenen Netzpolitiker Kurt Beck in Zusammenarbeit mit Netzexperten wie Horst Seehofer und Peter Harry Carstensen nach anfänglichen Zensurplänen noch immer Teile des Internets, wie Computerspiel-Foren, quasi mit Öffnungszeiten für gewisse Uhrzeiten zu versehen.

    Jede Zeitung, jedes Weblog und jede einzelne Seite der FDP oder der Jungen Liberalen müsste nach dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag entweder sicherstellen, dass Tag und Nacht jede Kommentierung eines Besuchers auf ihre Jugendschutzrelevanz überprüft wird oder alternativ Jugendliche ausschließen. Bei manchen Übertragungen, wie dem Live-Stream dieses Parteitags, ist das jedoch faktisch nicht möglich. Deshalb wäre zukünftig die Berichterstattung vom Parteitag für unter 18-Jährige wohl nicht mehr erreichbar. Das führt die Absurdität der Diskussion vor Augen.

    Gemeinsam mit den MdBs der Open Enquete hatten wir JuLis deshalb einen Dringlichkeitsantrag zum Jugendmedienschutzstaatsvertrag eingebracht, der im Rahmen des Leitantrags gestern auch mit großer Mehrheit beschlossen wurden. Hier sind wir alle gemeinsam gefragt, da wir nur gemeinsam über unsere Regierungsbeteiligungen in den Bundesländern sowie die verschiedenen Landtagsfraktionen unseren Einfluss geltend zu machen und den irrsinnigen Jugendmedienschutzstaatsvertrag noch abzuwenden. Dazu sind unsere Landesregierungen und Landtagsfraktionen von Baden-Württemberg bis Schleswig-Holstein und von Sachsen bis Nordrhein-Westfalen gefragt, um unseren gemeinsamen Beschluss auch wirklich umzusetzen.

    Jugendschutz in Zeiten des Internets muss stärker auf Medienaufklärung setzen, muss sich aber gleichzeitig auch den Gegebenheiten anpassen. Man kann das Internet nicht als ein rein deutsches Phänomen, das man über deutsche Gesetze steuern will, sehen und diesem Fehler erliegt der Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Denn auch wenn es manchem Unions- und SPD-Politiker nicht passt: Auch CDU/CSU und SPD können nicht einfach das Internet abschalten und morgen auf CD verteilen lassen, auch wenn sie wahrscheinlich denken, dass das möglich wäre.

    Deshalb ist es richtig, mit der Open Enquete grundsätzliche Fragen der Netzpolitik zu beleuchten, aber es ist genauso richtig, jetzt gemeinsam mit Ihnen einen Beschluss gegen den Jugendmedienschutzstaatsvertrag und für den gesunden Menschenverstand durchzusetzen.