Jeder Bürgersteig ist Nudging – neuartiges Teufelszeug oder alter Wein in neuen Schläuchen

Angela Merkel will uns „nudgen“ … das heißt sie möchte uns ohne Gesetze psychologisch so beeinflussen, dass wir uns – aus ihrer Sicht besser – verhalten. Zumindest hat sie dafür einen kleinen Stab im Kanzleramt eingerichtet.

Nur, was heißt das jetzt? Ist das neuartiges Teufelszeug, um die Bevölkerung zu entmündigen oder nur etwas, was Politik eh schon immer gemacht hat, nur unter neuem Namen?

Im Rahmen des Forschungskolloquiums des cege Göttingen durfte ich vor kurzem einen Vortrag zu einem Papier von Prof. Schnellenbach hören, der jetzt in Cottbus lehrt und forscht und früher auch am Walter-Eucken-Institut in Freiburg tätig war. Sein Bezug war der, dass Soft Paternalism (also Nudging) sogar im Rahmen der konstitutionell-ökonomischen Theorien nach Buchanan in engen Grenzen zulässig sein kann.

Im Vortrag ist mir deutlich geworden, dass das Konzept des Nudgings aber gerade etwas unklar ist, es gibt eben keine klare Grenzziehung, was noch gerade so ein Nudge und was schon ein gesetzlicher Eingriff für den Bürger ist. Beispiel?

Für den Supermarkt-Betreiber ist es definitiv ein gesetzlicher Eingriff, wenn er die gesunden Produkte auf Augenhöhe des Kunden positionieren muss. Für den Endkunden ist es höchstens ein Nudge und spätestens wenn man sich anschaut, wie kleine (und größere) Kinder mit Süßigkeiten vom Supermarkt-Betreiber schon seit Jahren an der Kasse genudged werden, kann man die Frage stellen, ob es nicht nur die Reaktion auf früheres Nudging ist.

Auf der anderen Seite gibt es auch das Beispiel in Großbritannien, bei dem Bürgerinnen und Bürger von der Regierung psychologisch wirklich hart genudged werden, um potentiell auch gegen ihren eigentlichen Willen Organspender zu werden. Eine aus meiner Sicht äußerst fragwürdige Praktik.

Ein kleines und relativ unbestreitbar positives Beispiel für Nudging stammt ebenfalls aus Großbritannien, da dort aus kontinentaleuropäischer Perspektive auf der falschen Straßenseite gefahren wird, gibt es dort auf Straßen Bodenmarkierungen mit „Look right!“. Wenn man nicht gerade Bestatter für verunfallte Touristen ist, ist das ein wohl für jeden positiver Nudge. Wenn man will, kann man natürlich weiter ohne zu schauen die Straße überqueren, aber wenn man es nur aus Versehen getan hätte, wird man daran erinnert.

Aber generell zeigt sich in den drei Beispielen das Kernproblem hinter Nudging (und eigentlich auch hinter jedem Staatseingriff): Weiß die Regierung wirklich besser, was die Bevölkerung „eigentlich“ will? Bei Gesundheit oder der Fahrtrichtung mag man so noch argumentieren können, aber bei Organspende halte ich das für höchst fraglich.

Genau deshalb muss man sehr genau aufpassen, was durch Nudging geschieht. Ich hoffe, dass wir darüber auch im liberalen Umfeld noch weiter diskutieren.

Aber eigentlich ist Nudging aus meiner Sicht nur alter Wein in neuen Schläuchen: Jeder Bürgersteig ist Nudging und den haben wir schon etwas länger: Es steht uns frei, auf der Straße zu laufen, aber irgendwie sinnvoller ist es schon, den Bürgersteig zu nutzen.

Übrigens spannend zum Thema, eine Nudging-Seite aus den USA zum Selbst-Nudgen: http://www.stickk.com/