
Warum Pornos (und Netflix) ein echtes Problem für den Klimaschutz sind.
Es ging schneller als gedacht. Hier das nächste Video bei „Lasse Reden“ über interessante Zahlen zum Klimaschutz. Die Quellen dazu sind:
Und der Rest ist dann Dreisatz – ok, die Verallgemeinerung, dass Deutschland grob beim Internetkonsum wie der Rest der Welt tickt, ist auch noch dabei.

Lasse reden: Warum es wichtig ist, wieder persönlich miteinander zu reden.
Ich finde, uns geht die Fähigkeit miteinander zu reden und unterschiedliche Meinungen zu haben, verloren. Darüber habe ich heute ein bisschen laut nachgedacht. Das hat für mich auch etwas mit der Missverständlichkeit der Schriftform und dem nur sehr oberflächlichen Kennen des Gegenübers auf sozialen Medien zu tun.

Lasse reden: Warum es gut ist, wenn Rezo Politik macht, aber was anders besser wäre.
Statt lange Texte zu bloggen, jetzt mal quasi als Vlog:

Warum ich finde, dass Rezo natürlich über Politik influencen darf und genau das sogar tun sollte. Warum sein Stil mir nicht passt und ich den auch zu intolerant finde. Und warum Journalisten und Politiker trotzdem zuhören und sich vor allem kritisch hinterfragen sollten.

Twitter-Troll-Treffen im Real-Life
Vor ein paar Wochen hatten Miriam Hollstein (@hollsteinm) von der BamS und ich auf Twitter einen Disput mit dem Twitter-Account @hundebrunomama von Rita Groß aus Potsdam über Aufkleber der identitären Bewegung, die muslimische Läden kennzeichneten. Ich fühlte mich dabei an vergangene Zeiten erinnert
Und es erinnert mich an die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte @hundebrunomama. Da wurden am Anfang auch nur Schmierereien an Läden gemacht. Das und Aufkleber sind das Gleiche in Grün – egal ob von Antifa oder Identitären.
— Lasse Becker (@lassebecker) 23. März 2018
und konnte die Verteidigung dieser Aufkleber wirklich nicht nachvollziehen. Der Dialog schaukelte sich etwas hoch (beidseitig) und bei mir erwuchs die feste Überzeugung, dass @hundebrunomama ein Fake-Profil oder eine sehr enttäuschte Wutbürgerin sein musste. Um das zu überprüfen, schlug ich vor, dass man sich – da Potsdam ja nicht so weit weg von Berlin ist – am Freitag vor unserem Bundesparteitag treffen könnte. Rita Groß (@hundebrunomama) hat dem zugestimmt und so ging es gestern gemeinsam mit @hollsteinm nach Potsdam – eigentlich immer noch in der Erwartungshaltung, dass es ein Fake-Profil sein könnte und wir unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen könnten.
Wer den Account @hundebrunomama auf Twitter anschaut, wird sehen, dass der Account radikal ist, radikal und aggressiv.
Vor Ort trafen wir dann eine reflektierte Frührentnerin, die selbst angab, auf Twitter provozieren zu wollen, um eine Gegenöffentlichkeit gegen die von ihr gefühlte einseitige linksorientierte Berichterstattung zu schaffen, und deshalb zum Mobilisieren aggressiv auf Twitter unterwegs sei. Frau Groß sagt selbst, nie in der AfD gewesen zu sein, sie aber zu unterstützen, obwohl sie diverse Charaktere dort (Stichwort: Poggenburg) hörbar verachtete. Die Sorge um ihre Heimat treibt sie an – und Heimat hat dabei nichts mit Kreuzen in Verwaltungsstuben zu tun, die sie selbst albern fand.
Während für mich Heimat durchaus auch eine europäische Komponente hat, war es für sie mit einer Biographie mit Brüchen (in der DDR aufgewachsen und teils von der Stasi verfolgt, danach in den Westen gegangen und später wieder zurück) ein sehr lokales Heimatgefühl.
Gleichzeitig ist sie aber nicht die Wutbürgerin, die man sich so vorstellt, sondern berichtete sehr offen von einem Gespräch mit zwei syrischen Flüchtlingsjungen an einem Baggersee, die nach der (auch aus ihrer Sicht nötigen Flucht aus Syrien) aufgrund des konservativen Vaters Probleme haben, in Deutschland anzukommen, auch wenn sie an ihrem Abitur arbeiteten.
Von ihren inhaltlichen Positionen im Gespräch würde Frau Groß im konservativeren Spektrum von CDU, SPD, FDP oder Linken kaum auffallen. Nur: Ihr Twitter-Account ist und bleibt so, dass ich sie eher Höcke oder Poggenburg als gemäßigten AfDlern zugerechnet hätte. Darüber haben wir auch lange diskutiert und vielleicht einen Nachdenkprozess ausgelöst.
Bei mir gibt es jetzt einen Prozess des Nachdenkens :
Wie können es Politik und Medien schaffen, Personen wie Frau Groß, deren Meinung ich zwar an vielen Stellen nicht teile, die aber ein hohes politisches Wissen und eigentlich auch eine Position im konservativen Spektrum der Union haben könnte, wieder anzusprechen? Genauso wie ich sie vor unserem Treffen für einen Twitter-Fake hielt, hielt sie uns wahrscheinlich wahlweise für eine Hofschranze (Journalistin) oder einen Altparteien-Apparatschik. Wir werden es wohl nicht schaffen, mit jeder Bürgerin, die sich von Politik und Medien abgewendet hat, einzeln zu sprechen, aber das immer mal zu tun, könnte helfen, um das Verständnis zu erhöhen.
Hingefahren bin ich in der Erwartung, einen übelgelaunten Twitter-Troll mit Hass, aber ohne Wissen über Politik zu treffen, getroffen habe ich eine gut gelaunte Frührentnerin mit ihrem Hund, die zwar enttäuscht ist von Politik, aber ein Wissen hat, das manches Parteimitglied nicht haben dürfte und sehr konkrete Vorstellungen, wie sich das Land entwickeln sollte, die aber auch aufs Heftigste polarisiert, um eine vermeintlich notwendige Gegenöffentlichkeit zu schaffen.
Wie können wir es schaffen, wieder eine gemeinsame Kommunikationsebene anstelle von zwei Öffentlichkeiten zu schaffen?

Der Tag, an dem wir den Euro nach Jermuk brachten
Jermuk liegt in Armenien zwischen dem Sewansee und Yerevan. Bekannt ist der Ort für sein Mineralwasser, das man fast im gesamten Kaukasus trinken kann. Es gibt natürlich auch andere Getränke vor Ort. Und für die benötigt man Cash. Aber von Anfang an:
Das erste Mal waren wir im Jahr 2007 in Jermuk. Einem ehemaligen sowjetischen Luftkurort, in dem gerüchteweise ein paar Jahrzehnte zuvor der Diktator Stalin im ersten Haus am Platz genächtigt hatte. Wir hingegen waren im „First House of Recreation“ einem „sleazy soviet sanatorium“, wie der Lonely Planet die anderen ehemaligen Sanatorien auch nannte, untergebracht. Wir, das war eine Gruppe junger Liberaler, die für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Workshops mit Jugendorganisationen – von AIESEC bis zu den Jugendorganisationen diverser politischer Parteien – gehalten hab, um für demokratische Strukturen zu werben und Fähigkeiten zu schulen.
Üblicherweise holten wir uns am ersten Tag für das jeweilige Land die lokale Währung am nächsten Geldautomaten. So hatte es zumindest vorher in Aserbaidschan und Georgien funktioniert und so war zumindest der Plan auch in Jermuk. Nachdem wir keinen Geldautomaten gefunden hatten, fragten wir einen Taxifahrer um Rat. Der bot freundlicherweise an, uns die 40km bis zum nächsten Geldautomat zu fahren, was wir aber höflich ablehnten. Ein Blick in unsere Geldbörsen ergab, dass wir nur noch eine sehr begrenzte Menge US-Dollar dabei hatten, aber noch genügend Euro.
Also ging es in einen Minimarket/Tante-Emma-Laden mit grandios guten Oliven, an die sich der aktuelle JuLi-Bundesvorsitzende wahrscheinlich noch heute freudig zurückerinnern wird. Dort versuchten wir den Ladenbesitzer zu überzeugen, diese komischen Banknoten mit dem € drauf zu akzeptieren. Dank der Übersetzungsleistung einer armenischen Freundin tat er das dann auch, wenn auch skeptisch und etwas widerwillig. Gekauft wurden ein Kasten Bier, ein paar Softdrinks, ein wenig Wodka und viele Oliven. Der Gegenwert in Euro war bei normalen Wechselkurs so gering, dass wir dem Händler einen verdammt guten Euro-Kurs gemacht haben.
Als wir am nächsten Tag wieder kamen, hatte er zwischendrin wohl geprüft, was diese komische bunte neue Währung wert war und war mit unserem Wechselkurs mehr als zufrieden. Wir haben in der Woche noch drei Mal bei ihm eingekauft und am letzten Tag verabschiedete er uns, in dem er uns ein „langes und gesegnetes Leben“ wünschte.
So haben junge Liberale den Euro nach Jermuk gebracht, nachdem wir einen Umweg fahren mussten, um nicht in die rituelle Aufrechterhaltung des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien zu kommen. Das ist allerdings – genau wie die Granathülsen auf dem Parkplatz unseres Autos in Gori – eine andere Geschichte.
In loser Folge möchte ich über kuriose und besondere Momente (positiv wie negativ) in inzwischen fast 20 Jahren Politik berichten. Beginnen möchte ich mit einer der witzigeren Geschichten aus dem Jahr 2001. Spoiler: Es wird eine „Opa-erzählt-vom-Krieg“-Geschichte, aber das dürfte in dieser Rubrik fast immer der Fall sein.

Der Tag, an dem ein Pornoseitenbetreiber wegen der JuLis nach Kassel fahren musste
In loser Folge möchte ich über kuriose und besondere Momente (positiv wie negativ) in inzwischen fast 20 Jahren Politik berichten. Beginnen möchte ich mit einer der witzigeren Geschichten aus dem Jahr 2001. Spoiler: Es wird eine „Opa-erzählt-vom-Krieg“-Geschichte, aber das dürfte in dieser Rubrik fast immer der Fall sein.
Das Jahr 2001. Inzwischen ganz schön lange her. Man kann es sich nicht mehr so richtig vorstellen, aber das Internet hat damals in der Politik fast keine Rolle gespielt. Der damalige Bundesvorsitzende Daniel Bahr war damals so überzeugt, dass sich das Internet nicht durchsetzen wird, dass er den JuLis Hessen die Internetadresse www.junge-liberale.de überließ. Jeder Bundesvorsitzende danach hat darüber geflucht – mich eingeschlossen.
In dieser Situation waren die Jungen Liberalen Kassel-Stadt und -Land Vorreiter in Sachen neue Medien. Wir wollten nach dem Vorbild der erfolgreichen Kampagne der JuLis Stuttgart mit einer auffälligen Kampagne nur mit einer Internetseite Werbung für junge Kandidaten bei der Kommunalwahl 2001 machen. Themenschwerpunkt sollte dabei das Thema Generationengerechtigkeit und Verschuldung sein.
Um damit richtig aufzufallen wurden neon-orange Plakate mit schwarzer Aufschrift www.nackte-tatsache.de in Auftrag gegeben. Um noch mehr aufzufallen, färbte ich mir meine Haare orange (die anderen JuLis hatten es zwar auch versprochen, haben dann aber gekniffen. Und wir standen einmal nur in Boxershort vor einem Auftritt von Gerhard Schröder in Baunatal – es war Winterwahlkampf und saukalt.
Um das Ganze auf die Straße zu bringen, wurden am ersten Tag der Plakatierfrist in ganz Kassel und im Landkreis Kassel rund 300 Neon-Plakate aufgehängt. Soweit so gut, dachten wir.
Am Abend bekamen wir jedoch einen etwas merkwürdigen Anruf: Ein Hannoveraner Betreiber einer Pornoseite rief uns aus Kassel an, weil er einen aufgebrachten Anruf des Kasseler Ordnungsamtes erhalten hatte. Das Ordnungsamt hatte gefragt, wie er sich unterstehen könne, kassel-weit Plakate für seine Pornoseite ohne Genehmigung aufzustellen. Wir fragten uns spontan, was wir damit zu tun hatten, bis schließlich der Pornoseitenbetreiber herausrückte, dass ihm die Seite www.nackte-tatsachen.de gehöre und er jetzt in Kassel festgestellt habe, dass eine andere Seite, eben ohne ein „n“ plakatiert sei.
Da das Ordnungsamt der Stadt Kassel ihm aber unter Androhung eines Bußgeldes von mehreren tausend Mark (ja, liebe Kinder, damals gab es noch die D-Mark) aufgefordert hatte, die Plakate sofort (noch am Wochenende) zu entfernen, war er nach Kassel gefahren und hatte uns benachrichtigt.
Als wir den damaligen Leiter des Kasseler Ordnungsamt Herrn P. anriefen und fragten, warum er denn den Pornoseitenbetreiber kontaktiert hatte, stellte sich heraus, dass das Ordnungsamt – ohne selbst das Plakat zu sehen – auf Zuruf der Plakatierfirma der Grünen gehandelt hatte. Diese Firma hatte auch „freundlicherweise“ einige der aus ihrer Sicht pornografischen Werbehinweise entfernt und durch Grünen-Plakate ersetzt. Herr F. von der Firma D. war aber anders als das Kasseler Ordnungsamt durchaus zur Kooperation bereit und vor allem am Wochenende gut erreichbar.
Beim Kasseler Ordnungsamt hingegen stellte man auf stur. Ohne den eigenen Fehler einzusehen anschließend auf den Standpunkt, dass
- ein Plakat mit nur einer Internetseite keine Wahlwerbung sei,
- eine Partei auf dem Plakat genannt werden müsse,
- an falschen Orten plakatiert worden sei.
Erst nach einer Stellungnahme der hessischen Staatskanzlei und der Androhung, die fehlenden Lesefähigkeiten und das ungeprüfte Reagieren auf Zuruf eines politischen Wettbewerbers in den Medien zu thematisieren, ließ sich Herr P. von Punkt 1 abbringen. Auch wenn er vermutlich bis heute nicht einsieht, dass politische Parteien und nicht das Ordnungsamt entscheiden, was auf ein Plakat kommt und was nicht.
Bei Punkt 2 einigte man sich auf einen kleinen Aufkleber, mit dem man wirklich nicht mehr erkennen konnte als vorher, aber das Ordnungsamt befriedigt.
Bei Punkt 3 mussten wir einige Plakate umsetzen.
Insgesamt war es aber ein durchaus erfolgreicher Wahlkampf nach dem mit Tobias Jesswein in der Stadtverordnetenversammlung Vellmar und mir im Kreistag des Landkreises Kassel zwei JuLis in kommunalen Parlamenten saßen. Und alles ging los mit einem Pornoseitenbetreiber aus Hannover.
Für die beiden Kollegen in der Stadt Kassel hat es leider damals nicht gereicht. Das hatte etwas mit altem Fleisch und einem Shitstorm auch ganz ohne Internet zu tun. Aber das wäre eine andere Geschichte.
Die Seite www.nackte-tatsache.de ist übrigens eingefroren auf ihrem letzten Stand (inkl. Rechtschreibfehler auf der Startseite) immer noch erreichbar.

TTIP-Großdemo schränkt Meinungsfreiheit ein
Anlässlich der Diskussionen und Demonstrationen zu TTIP und CETA in Frankfurt am Main zeigen sich die Freien Demokraten enttäuscht über das dort vorhandene Diskussionsklima: Gemeinsam wollten die FDP Hessen und die FDP Frankfurt getreu dem Motto „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden“ in der Nähe der Frankfurter Großdemonstration einen Diskussionsstand anbieten, bei dem Demonstranten auch über die Vorteile von Freihandel hätten diskutieren können. Nach erster Genehmigung durch das Ordnungsamt der Stadt Frankfurt, wurde diese Genehmigung aufgehoben und ein Ort abseits aller TTIP-Demonstrationen vorgeschlagen, da die Polizei nicht die Sicherheit des Standes garantieren konnte. „Die vermeintlich Guten, die für einen gerechten Welthandel einzutreten behaupten, schränken das Recht, eine andere Meinung frei zu äußern, erheblich ein. Wir sehen es als bedenklich für die Meinungsfreiheit in Frankfurt an, dass die Gefahreneinschätzung der Sicherheitsbehörden dazu führt, unser Gesprächsangebot am Opernplatz zu verschieben, weil augenscheinlich einige Teilnehmer der Großdemo nicht mit anderen Meinungen als der eigenen klarkommen“, bedauerte Dr. Thorsten Lieb, Vorsitzender FDP Frankfurt, die Absage des Infostands. Gleichzeitig heben Kreis- und Landesverband hervor, dass dies keine Kritik an Ordnungsamt oder Polizei sei.
Aus Sicht der Freien Demokraten lebt Demokratie vom Meinungsaustausch und den unterschiedlichen Positionen zu einem Thema, um es aus mehreren Blickwinkeln zu betrachten. Dies erfordert eine friedliche und zivilisierte Diskussions- und Demonstrationskultur, denn die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter in unserem Land. „Anscheinend ist auch bei der TTIP-Großdemo zumindest für einige die Akzeptanz einer anderslautenden Meinung als der eigenen so schwer zu ertragen, dass wir geschützt werden müssten. Für Freie Demokraten, die völlig auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, ist dies eine merkwürdige Situation“, erklärte Lasse Becker, stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Hessen und weiter: „Bei TTIP und CETA geht es für uns darum, dass gerade ein exportorientiertes Land wie Hessen, stark von Freihandel profitieren würde: Wir würden neue Arbeitsplätze in Hessen schaffen und es würden gerade kleine und mittlere Unternehmen davon profitieren. Ein Großunternehmen kann schon heute mit großen Exportabteilungen die Standards verschiedener Länder erfüllen, kleinere Unternehmen haben hier weitaus größere Probleme.“
Die FDP wollte an ihrem Stand den Fragen nachgehen, ob Freihandel mehr Arbeitsplätze schafft, welche Auswirkungen er auf Standards hat, ob Großunternehmen oder eher kleinere Unternehmen Nutznießer von Freihandelsabkommen sind. „Wir sehen sowohl Chancen als auch Risiken durch den Freihandel und sind nach wie vor bereit, dies offen zu diskutieren, um zu einem guten Ergebnis zu kommen. Einfach nur dagegen zu sein, reicht nicht und ist nicht unsere Lösung, denn wir wollen Europa und unser Land gestalten und bestmöglich aufstellen. In den USA wird diskutiert, ob ein Rohmilchkäse (z.B. Schimmelkäse oder Camembert) wirklich zugelassen werden kann, in Deutschland ist dies umgekehrt bei manchem US-amerikanischen Verfahren der Fall. Wir sollten deshalb immer beide Seiten abwägen, aber hätten zumindest die andere Seite sehr gerne auch diskutiert“, so Lieb.
Lieb und Becker heben abschließend hervor: „Wir Freien Demokraten halten unser Gesprächsangebot weiter aufrecht, aber es macht keinen Sinn abseits des Geschehens diskutieren zu wollen. Wir sind – genau wie viele andere Freie Demokraten – gerne bereit mit den Gegnern von freiem Handel zu diskutieren und kommen dafür auch gerne zur Demonstration vorbei.“

Schulen aus der Kreidezeit holen
Erschienen als Gastbeitrag in der Fuldaer Zeitung vom 26. Juli 2016
Sie fragen sich vielleicht: Warum keine Kreide mehr? Ich erinnere mich gut an den Aufschrei, als die hessischen Freien Demokraten im Frühjahr einen Tablet-Computer für jeden Drittklässler und ein Notebook für jeden Siebtklässler gefordert haben. Das „Warum“ hat etwas mit den Lebensrealitäten zu tun: Egal ob in der Freizeit, bei der Tätigkeit im Verein oder im Beruf: Es gibt fast kein Feld des Lebens mehr, in dem die jungen Menschen nicht mit dem digitalen Leben konfrontiert sein werden.
Als Schüler tauschen sie sich genauso über Whatsapp aus, wie sie später ihre Bewerbung per E-Mail verschicken werden. In der Industrie gibt die Maschinenbedienerin den Fertigungsauftrag ebenso am Touchscreen frei, wie der Hotelangestellte in der Rhön eine Hotelbuchung über das Internet bestätigt. Kurz: Die Digitalisierung ist heute schon überall.
Nur in unseren Schulen, da sind wir noch in der Kreidezeit. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bleibe überzeugt, dass vor allem anderen das Erlernen und Stärken von Lesen, Schreiben und Rechnen stattfinden muss. Im Anschluss daran jedoch kann digitale Bildung Schüler weiterbringen: Moderne Lernsoftware kann Schüler mit Problemen motivieren, dran zu bleiben. Wer beim Rechnen Probleme hat, wird nachmittags mit seinem Tablet-Computer und didaktisch aufbereiteten Programmen zum Mathe-Lernen eher noch üben, als wenn er dafür erst ein Buch aus der Bibliothek ausleihen muss.
Wichtig dabei ist, dass Lernsoftware und digitale Bildung mehr sein soll als nur eine ePaper-Funktion eines Buches: Die große Stärke eines Tablet-Computers oder Notebooks ist, dass es interaktiv und multimedial ist.
Die Schülerin, die im Sachkundeunterricht der vierten Klasse Probleme mit dem Verständnis des Wasserdrucks hat, kann das nicht nur im Buch nachlesen, sondern auch in einem kurzen Video die Wirkung von Wasser, das aus einem Hochbehälter kommt, sehen und mittels einer Lern-App mit dem Wasser virtuell experimentieren. Während sie das in der Grundschule vielleicht ein- oder zweimal real experimentieren könnte, kann sie es in der App beliebig oft nachspielen. Der Achtklässler, der Probleme mit englischen Vokabeln hat, kann diese nicht nur stur vom Blatt oder aus dem Buch auswendig lernen und sich dabei am Ende noch eine falsche Aussprache angewöhnen. Er kann vielmehr das englische Wort richtig vorgesprochen bekommen, Vokabeln spielerisch in einem Lernspiel festigen und vertiefen und sie direkt in einem Referat, das er auf seinem Notebook entwickelt, nutzen.
Durch gute Lernsoftware können Schüler, die bei reinem Frontal- und Gruppenunterricht kombiniert mit Bücherlernen schlechtere Chancen hätten, individueller gefördert werden, sie können Spaß am Lernen und an der für sie besten Lernweise entwickeln. Sicherlich folgen daraus für Lehrkräfte Herausforderungen – aber auch große Chancen.
Digitale Bildung hilft Schülerinnen und Schülern auch, rechtzeitig die nötige Medienkompetenz zu erlangen:
Dass manches dauerhaft sichtbar in sozialen Medien wird, lässt sich bei praktischer Anwendung leichter zeigen als in einer Kreidezeichnung an der Tafel. Kurzum: Schule, die nach dem Erlernen der Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen digitale Bildung nutzt, um allen Schülern kindgerecht individuelle Förderung zukommen zu lassen, kann mehr Lebenschancen eröffnen als eine Schule in der Kreidezeit.
Um dies alles zu erreichen, brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung: Wir brauchen Kreise, die in Smartboards, EDV-Support und schnelles Internet investieren. Wir brauchen Länder, die Tablet-Computer und Notebooks mit Lernsoftware – und nicht nur von den großen Verlagen – besorgen. Wir brauchen den Bund, der eine Verzahnung zwischen den Bundesländern ermöglicht.
Und alle zusammen sollten dabei den Schulen möglichst große Freiheit geben, um ihre Schüler individuell zu fördern: Damit die Physiklehrerin genau wie der Lateinlehrer diese Möglichkeiten nutzen kann.
Den gesamten Beschluss der FDP Hessen, der diesem Gastbeitrag zugrunde liegt, finden Sie hier.

Statt Rosenkrieg: Europäische Union als Freihandelszone und Vereinigte Staaten von Europa als föderaler Bundesstaat
Großbritannien will aus der EU austreten. Das steht fest. Auch wenn mancher jetzt zu glauben scheint, dass dies nur ein geschickter Schachzug, um den Briten die Vorteile der EU näher zu bringen sein, muss man das akzeptieren. Fast wie ein betrogener Ehemann bei einer Scheidung – rufen Politiker nach einer harten Verhandlungsposition, man könnte auch fast harten Vergeltungsmaßnahmen sagen. Andere fordern das sofortige Gewähren aller Rechte. Beides ist symptomatisch für den Drang der Politik immer eine schnelle Antwort zu liefern. Leider hat auch meine eigene Partei dabei mitgemacht, ohne wirkliche Antworten, was dieses neue Europa sein soll. Was mein FDP-Landesvorsitzender sich vorstellt, ist dabei sicher etwas anderes als das, was ich mir vorstelle oder was unsere Generalsekretärin sich vorstellt oder was der JuLi-Bundesvorsitzende sich vorstellt. Politik sollte in einem solchen Moment vielleicht eher zu der Unvollkommenheit des eigenen Wissens stehen: Wir wissen nicht, was für Auswirkungen das Votum hat. Ich persönlich befürchte zwar negative für Großbritannien vor allen Dingen, aber sicher sagen kann ich das heute nicht.
Was ich aber sagen kann, ist, dass ich weiß, was für ein Europa ich mir in dieser Krise wünsche und welche Konsequenzen Europa aus meiner Sicht ziehen sollte. Was also mein neues Europa wäre. Das ist aber ausdrücklich meine private Meinung und nicht irgendein Beschluss der Freien Demokraten:
Mehr Europa … aber anders – auch im Gespräch mit dem Bürger
Mehr Europa wünsche ich mir, weil ich davon überzeugt bin, dass gerade meine Generation, der heute und zukünftig Berufstätigen weit mehr Vorteile aus Europa zieht als viele andere Generationen ohne ein geeintes Europa vorher. Das geht los mit der kompletten Selbstverständlichkeit der Reisefreiheit und der Einfachheit, ohne Geld zu wechseln, in viele europäische Länder zu reisen. Viel wichtiger ist aber, dass wir gemeinsame Aufgaben, Werte und Ziele haben. In Zeiten von Spannungen und Herausforderungen ist das gemeinsame Einstehen für andere Europäer eine gemeinsame Herausforderung– sei es auf dem Baltikum, sei es in Italien oder sei es auf der iberischen Halbinsel.
Und bei aller Kritik an Europa sollte klar sein: Die Kommission hat Recht, wenn sie sagt, dass jede Rechtsvorgabe aus Europa immer mit deutscher Beteiligung im Rat und im Parlament entstanden ist.
Wichtig ist beim Gespräch mit dem Bürger in Europa – also der öffentlichen Kommunikation –, eine Politik, die nicht in Ritualen abläuft. Am Tag nach dem Referendum wirkten für mich beide Nigel Farage, wie auch Martin Schulz, wie Rednerpuppen, die einen Text abspulten, der – vollkommen unabhängig vom Ausgang des Referendums – so abgespult worden wäre. Farage mit Hasstiraden auf Europa und Schulz mit der Forderung nach einem europäischen Sozialstaat. Die Sorgen, die ich bei meiner 60-Jährigen Nachbarin am Tag nach dem Referendum morgen gehört habe, dürften beide geflissentlich ignoriert haben: Sie hatte in diesem Moment Sorgen um Frieden, um den Wohlstand ihrer Kinder und um die Sicherheit – gerade mit Blick auf Putin. Europäische Politik muss genau diesen Sorgen um den drohenden Zerfall Europas ebenso wie um eine Vision für die Zukunft Europas zuhören und das Gespräch aufnehmen.
Aber auch nationale Politik ist gefordert: Der deutsche Wirtschaftsaufschwung der letzten Jahre war nur wegen der Vorteile eines gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Union möglich, was aber nur sehr wenige Bundestagsabgeordnete in den letzten Jahren so konkret gesagt haben dürften. Wenn aber eine EU-Richtlinie einem Bundestagsabgeordneten nicht gepasst haben dürfte, hat er das mit Sicherheit sehr deutlich und laut gesagt – wohlwissend, dass diese Richtlinie von der Bundesregierung und seinen deutschen Europaparlamentskollegen mitgetragen wurde. Kritisiert wurde dabei ein abstraktes Europa und eben nicht, die zuständige Fachministerin oder der Fachminister im Bundeskabinett.
Zwei Geschwindigkeiten … Vereinigte Staaten von Europa als föderaler Nukleus eines gemeinsamen Europa
Wir brauchen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Bis Bulgarien oder Griechenland in allen Bereichen wirklich integriert wären, dürfte noch etwas Zeit vergehen, und ob Ungarn wirklich noch alle Werte der Europäischen Union lebt, lasse ich aus Höflichkeit lieber offen. Deshalb sollte man einerseits im Zentrum Europas mit Frankreich, den Benelux-Staaten und Deutschland, sowie interessierten, aber vor allem entsprechend aufgestellten, Nachbarstaaten, die nächsten Schritte hin zu den strikt föderalen Vereinigten Staaten von Europa gehen. Zu einem weiteren Zusammenwachsen gehört für mich die gemeinsame Öffentlichkeit und die gemeinsame Kommunikation, auch wenn – oder gerade weil – in diesen Vereinigten Staaten kein englischsprachiges Land ist, wäre ich dafür Englisch sofort in allen Ländern zur zweiten Amtssprache zu machen und ab der Grundschule zu unterrichten. Genauso gehört für mich ein abgesteckter gemeinsamer Rahmen in der Schule zur Entwicklung eines gemeinsamen Europas dazu. Aus beidem kann mittel- bis langfristig eine gemeinsame Öffentlichkeit entstehen und darum sollten wir uns bemühen – nicht zuletzt um auch die Institutionen der Europäischen Union besser zu kontrollieren.
Europäische Union der 28 oder 27 als Sicherheits- und Freihandelszone mit Grundfreiheiten als breites Angebot zentraler Europäischer Werte
Gleichzeitig sollten wir uns bei der gesamteuropäischen Ebene der 28 oder bald zumindest temporär 27 Mitgliedsstaaten uns stärker auf den Grundsatz einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, aber auch eines gemeinsamen Binnenmarktes konzentrieren. Europa muss die Sicherheit jedes Staates von Estland bis Malta sicherstellen und das ist Aufgabe einer großen Europäischen Union. Die Grundlage für Frieden und Freiheit in Europa hat aber der Binnenmarkt der Europäischen Union geschaffen. Diese Grundsätze müssen wir wieder hochhalten. Es ist ein Vorteil für Spanien, wie für Deutschland, wenn freie Marktzugänge bestehen. Grundsatz bleibt aber: Jeder Staat, der die großen Freiheiten der Europäischen Union – von der Personenfreizügigkeit, über den freien Warenhandel bis zum freien Kapitalverkehr – in seinem Land nutzen will, muss all diese Freiheiten auch den Bürgern der anderen Länder der Europäischen Union einräumen. Es ist bedauerlich, dass Großbritannien, diese Freiheiten nicht mehr gewähren will, aber es folgt daraus, dass die Europäische Union andererseits auch von diesen basalen Freiheiten nicht abrücken kann.
Gleichzeitig sollte die dann stärker auf Freihandel und Sicherheit reduzierte Europäische Union der 27 offen sein für neue Partner. Eine Integration in eine Freihandelszone ist leichter als in eine stärker integrierte Union. Von Schottland bis zu Norwegen sollte die Europäische Union deshalb neuen Mitglieder offen entgegentreten, nicht zuletzt weil die Integration durch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten erleichtert bzw. erst wieder ermöglicht wird.
Zum Brexit selbst gebieten jetzt aber die gemeinsamen europäischen Werte einen fairen Umgang mit Großbritannien bzw. den Teilen Großbritanniens, die die Europäische Union verlassen wollen. Das bedeutet für mich, dass man in den Verhandlungen klar machen muss, dass man nicht nur teilweise ein paar Vorteile der Europäischen Union nutzen kann, sondern dass die Grundfreiheiten nicht verhandelbar sind, aber dass man andererseits auch nicht von einem Nicht-Mitglied alle Pflichten (wie Beitragszahlung) weiter verlangen kann. Gleichzeitig begrüßen wir neue Mitglieder, die unsere Werte teilen, und das können natürlich auch Länder sein, die bisher Teil Großbritanniens waren uns jetzt eine andere Entscheidung als England und Wales treffen möchten.
Kurz zusammengefasst:
Wir brauchen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Mit eng verzahnten Vereinigten Staaten von Europa im Herzen einer großen Freihandels- und Sicherheitszone Europäische Union. Dazu gehören gemeinsame Werte, die es jetzt auch im Umgang mit den Teilen Großbritanniens, die austreten möchten, zu bewahren gilt.

Was Neoliberalismus ursprünglich bedeutet.
Ein kleiner Exkurs in die Wirtschaftstheorie …
Ich gebe mich nicht der Illusion hin, mit einem Blogeintrag, die komplette deutsche Sozialdemokratie von der ideengeschichtlich falschen Nutzung des Begriffs „Neoliberalismus“ abzubringen. Aber der Tweet des hessischen Landtagsabgeordneten Stephan Grüger (siehe unten) und der anschließende Dialog bringt mich dazu, es doch zumindest punktuell zu versuchen.
Die neoliberale/neoklassische Ideologie ist mit ihrer naiv-vulgären Marktgläubigkeit totalitär, pro-monopolistisch und damit antiliberal.
— Stephan Grüger, MdL (@GruegerS) 5. Juni 2016
Im Tweet geht es darum, dass die „neoliberale Ideologie“ totalitär, naiv-vulgär-marktgläubig pro monopolistisch sei (Ich beschränke mich bewusst auf den Begriff „neoliberal“, da er der häufiger gebrauchte ist). Woher kommt der Begriff „neoliberal“ und was war „neo“ als neu am Neoliberalismus ist deshalb die Frage.
Neoliberalismus und Monopole
Ausgehend vom sogenannten Laissez-Faire-Liberalismus und klassischen Liberalismus werden erst von neoliberalen Theoretikern die Erfahrungen aufgenommen, dass privatwirtschaftliches Handeln, nicht immer zur effizienten Lösung führen. Klassische Beispiele sind natürliche Monopole, aber auch generell Monopole oder – wenn auch erst wesentlich später wirklich wirtschaftswissenschaftlich ausführlich ausgeleuchtet – externe Effekte bei öffentlichen Gütern. Kurz zusammengefasst: Während ein Laissez-Faire-Liberaler oder purer klassischer Liberaler ein Kartellamt oder andere Maßnahmen zur Beschränkung von Monopolen ablehnen würde, sind es in den Wirtschaftswissenschaften Neoliberale, die diese Maßnahmen einführen wollten. Insofern wäre bezogen auf Monopole der Tweet relativ eindeutig ideengeschichtlich widerlegbar.
Neoliberalismus und Marktgläubigkeit
Ausgehend davon lässt sich gerade auch ableiten, dass der Schritt vom Laissez-Faire-Liberalismus zum Neoliberalismus der Schritt von reiner Marktgläubigkeit, hin zum ersten kritischen Hinterfragen des Marktes war. Selbst in den Schriften von Hayek, unbestreitbar ein Autor, der die Ideale des Marktes hoch hält, lassen sich deutliche Belege dafür finden, dass es nicht bei allen Markttransaktionen zu effizienten Lösungen kommt, und deshalb ein (stark beschränktes) Eingreifen des Staates vertretbar und notwendig sein kann.
Aus dem ersten kritischen Hinterfragen des Marktes folgt dann die deutsche Form, des Neoliberalismus als Ordoliberalismus: Der Staat soll in diesen Fällen durch einen grundsätzlich ordnenden Rahmen, aber nicht durch Einzelmaßnahmen eingreifen. Das ist für mich als Ordoliberalen der Grund, warum ich einen Mechanismus, wie den Zertifikatehandel besser finde, als eine interventionistische Anordnung, dass jedes Unternehmen oder jedes Fahrzeug jetzt nur noch eine bestimmte Emission haben darf. Damit dürfte auch das naiv-vulgär-marktgläubig widerlegt sein. Ich sehe, dass mit der Weitentwicklung vom Homo Oeconomicus zum Homo Oeconomicus Instituionalis das kritische Hinterfragen von Marktstrukturen noch weit über die Neoliberalen hinaus gegangen ist, aber das würde a) hier zu weit führen und b) widerspricht es nicht dem grundsätzlichen Punkt, dass dieses Hinterfragen erst von Neoliberalen im liberalen Strang der Ideengeschichte forciert wurde.
Das waren die beiden relativ leicht faktenwiderlegten ideengeschichtlichen Fehler. Ich würde Herrn Grüger also durchaus zugestehen, dass er hätte er von „Laissez-Faire-Liberalen“ einen validen Punkte hätte, nur ist die Anzahl echter Laissez-Faire-Liberaler, die sogar den Ordoliberalismus als zu interventionistisch ablehnen, höflich gesprochen sehr überschaubar.
Wem übrigens meine Ausführungen nicht ausreichen, dem empfehle ich den Artikel zu Neoliberalismus in Gablers Wirtschaftslexikon nachzuschlagen (generell eine gute und anders als Wikipedia auch eine in wissenschaftlichen Arbeiten zitierbare Quelle zu Wirtschaftsthemen), die Definition dort:
„Denkrichtung des Liberalismus. Forderungen des klassischen Liberalismus werden aufgegriffen, das Konzept jedoch aufgrund der Erfahrungen mit dem Laissez-Faire-Liberalismus, sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften und dem konzeptionslosen Interventionismus, der spätestens seit Beginn des 20. Jh. die Wirtschaftspolitik der meisten marktwirtschaftlichen Ordnungen kennzeichnet, korrigiert. Betont wird wieder die Ordnungsabhängigkeit des Wirtschaftens und die Bedeutung privatwirtschaftlicher Initiative. Stärker als im klassischen Liberalismus, wird berücksichtigt, dass der Wettbewerb durch privatwirtschaftliche Aktivitäten bedroht ist, da sich ihm die Marktteilnehmer durch die Erlangung von Marktmacht zu entziehen versuchen. Daher soll der Staat den freien Wettbewerb aktiv vor dem Entstehen privatwirtschaftlicher Marktmacht wie auch vor staatlich verursachter Marktvermachtung schützen (s. Interdependenz der Ordnungen).
Die in der Bundesrepublik Deutschland vertretene Ausgestaltung des neoliberalen Konzeptes wird als Ordoliberalismus bezeichnet, der auf die in den 1930er-Jahren begründete Freiburger Schule zurückgeht.“
Wer es noch einfacher haben will, kann auch hier bei der Bundeszentrale für politische Bildung vorbeischauen.
Neoliberalismus und Totalitarismus
Etwas schwieriger ist die Verknüpfung von Neoliberalismus und Totalitarismus. Da die wissenschaftlichen Überschneidungen beider Begriffe kaum vorhanden sind. Ich würde an dieser Stelle aber dagegen halten wollen, dass gerade der Markt an sich, wenn er richtig funktioniert, die stärkste Form der Demokratie und damit das glatte Gegenteil von totalitär ist: Der Markt ist ein Mechanismus zur Entmachtung einiger weniger großer Marktteilnehmer und zum Sichtbar-Machen der vielen kleinen Marktteilnehmer
Während bei einem interventionistischen Ansatz oder im Sozialismus einige wenige Politiker oder Bürokraten entscheiden, was Preise und Mengen in der Produktion sein sollen, entscheiden in einem funktionierenden Markt alle Konsumenten und Produzenten, in dem sie ihre Preisbereitschaften nutzen. Es würde wahrscheinlich auch für ein oder zwei weitere Blogposts reichen, um das auszuführen, aber als Konzept sollte man es zumindest im Hinterkopf haben.
Jetzt kann man aus sozialdemokratischer Sicht sagen, dass Märkte nicht immer funktionieren. Das stimmt auch, aber genau das erkennt eben der Neoliberalismus erstmals an. Insofern hoffe ich auch dieses Argument widerlegt zu haben. Diesen Kritikpunkt würde ich insofern noch nicht einmal gegenüber dem Laissez-Faire-Liberalismus gelten lassen.
Wie gesagt: Ich werde damit nicht alle Sozialdemokraten, die den Begriff „Neoliberalismus“ (teilweise bewusst) ideengeschichtlich falsch verwenden, überzeugen, aber ich hoffe, den einen oder anderen, der es nur aus Versehen getan hat, mit diesem kleinen Ausflug in die liberale Ideengeschichte aufgeklärt zu haben.
Hinweis:
Leider bin ich gerade nicht an meiner wissenschaftlichen Literaturdatenbank, deshalb kann ich die Stelle von Hayek nicht exakt belegen, das kann ich aber bei Interesse gern von daheim Ende kommender Woche nachholen.
Die Überschrift wurde nach Kritik versachlicht.