
Das hessische Opfer der NSU-Morde heißt Halit Yozgat.
Vor vier Jahren stand ich in Kassel in der Menschenkette zum Gedenken an Halit Yozgat. Hätte man mich damals gefragt, ob ich es für möglich halte, wie tief der hessische Verfassungsschutz in diesen abscheulichen Mord verstrickt zu sein scheint, dann hätte ich das verneint.
Fast jeden Tag fahre ich am Ort des Mordes mit dem Auto vorbei. Heute – am neunten Jahrestag des Mordes an Halit Yozgat – werde ich wieder in Kassel stehen, bei derGedenkveranstaltung u.a. der IG Metall Nordhessen. Ich bin nicht bereit, es hinzunehmen, dass in einem Rechtstaat Menschen ermordet werden und der Staat sich nicht einmal zu fragen scheint, was er zur Aufklärung beitragen kann.
Als Volker Bouffier in einem weinerlichen Statement in Wiesbaden erklärte, dass er von all dem nichts gewusst habe, erschien mir das ein so absurdes Theater, dass ich danach wütend war – wütend über einen Ministerpräsidenten, der so tut, als wäre er selbst ein Opfer, wütend über einen Verfassungsschutz, der nicht unsere Verfassung schützt, sondern mit Füßen tritt, wütend über eine Gesellschaft, die duldet, dass Schlapphüte so tun können, als wären ihre Agentenspiele wichtiger als Menschenleben.
Bei Torsten Denkler von der Süddeutschen konnte man nachlesen, dass unklar ist, ob der Schutz von Opfern immer im Mittelpunkt stand (Fromm spricht für die bundesweiten – sogenannten – Verfassungsschützer):
Was ist wichtiger, Mord-Aufklärung oder Schutz von V-Leuten? Fromm schwimmt, sagt dann: Aufklärung. Hmm, war wohl nicht immer so. #NSU
— Thorsten Denkler (@thodenk) 5. Juli 2012
Das darf in einem Rechtstaat nicht sein.
Wenn dann in Hessen mehrere Verfassungsschützer ausweislich der Mitschnitte von einem Mord wussten und nichts getan haben und danach noch von ihrem Innenminister beschützt und vor Strafverfolgung bewahrt werden, dann stellt sich nicht die Frage, ob Volker Bouffier Opfer ist, wie man den Eindruck bei seinem weinerlichen Auftritt in Wiesbaden gewinnen konnte, sondern vielmehr, ob er sich nicht selbst zum Mittäter eines Mordes gemacht hat.
Ich habe schon bei der Eröffnung des Landesparteitags der Freien Demokraten in Wetzlar bewusst gesagt:
„Wir als Politiker haben die Aufgabe, alles, aber auch wirklich alles zu tun, um die Aufklärung des hessischen NSU-Mordes zu ermöglichen.
Allein dass es so viele gut begründete Verdachtsmomente gibt, dass der Verfassungsschutz, der eigentlich unsere Verfassung, wie der Name schon sagt, schützen soll, in einen Mord verstrickt ist, ist vollkommen unerträglich.
Der hessische Ministerpräsident und damalige Innenminister kann und darf sich nicht zurückziehen auf die Position, dass man dem Verfassungsschutz nachweisen müsste, dass er in die Morde verstrickt wäre.
Nein, aufgrund Ihres Amtseides müssen SIE, Volker Bouffier, endlich deutlich machen und beweisen, dass der hessische Verfassungsschutz und damit indirekt SIE eben nicht von einem Mord wussten.
Und dabei darf keine Rücksicht darauf genommen werden, ob etwas die CDU, die FDP, die Grünen, die SPD oder sonst wen betrifft. Dass unsere Landtagsfraktion dies sachlich aber bestimmt in der Ermittlung vorantreibt, ist richtig und verdient unseren Respekt. Denn, dass im Leitbild der Freien Demokraten steht, dass Freiheit und Menschenrechte weltweit gelten sollen, heißt eben auch, dass die Menschenrechte in Deutschland immer gelten müssen und eigentlich der Staat noch nicht mal in den Verdacht kommen dürfte, Neonazis bei einem Mord zu decken.“
Ein Ministerpräsident, der diesen Verdacht nicht endlich klar ausräumt, darf nicht länger Ministerpräsident sein.
Ich bin immer noch wütend, weil ich heute wieder am Halit-Platz stehen werde, wie vor vier Jahren und wir bei der Aufklärung kaum einen Schritt weiter sind.
PS.: Die Behauptung Sigmar Gabriels, die Vorratsdatenspeicherung hätte die NSU-Morde verhindert, ist so absurd und eklig, dass man sie eigentlich nicht zu kommentieren zu braucht. War ja jetzt nicht so, als hätten die Behörden nicht genügend Hinweise gehabt.
Da einige noch um weitere Informationen gebeten hatten, hier eine kurze Liste an Informationen (ergänzt am 6.4.2015):
1. Die V-Leute durften wegen Bouffier nicht aussagen.
2. Der Verfassungsschützer der vor Ort war, kann nach den Tatortbegehungen das Mordopfer nicht übersehen haben (gibt da eine Nachstellung, die in diversen Medien aufgegriffen wurde).
3. Sogar die Richter haben den Verfassungsschützer als absolut unglaubwürdig dargestellt.
4. Bei den anderen Verfassungsschutz-Organisationen sieht es nicht besser aus.
5. Zitat vom Kontaktmann des Verfassungsschützers „Ich sage jedem, wenn er weiß, dass so etwas nicht passiert … nicht vorbeifahren“ spricht auch Bände. Zumal, wenn es zufällig in der Polizeimitschrift „vergessen“ wurde und erst von den Nebenklage-Anwälten zufällig beim Abhören der Bänder festgestellt wurde.
Wie man Antisemitismus in Deutschland salonfähig macht – ARD 2.0
Liebe Medien, liebe Demonstranten,
es ist keine Kritik an Israel oder Israels Siedlungspolitik, „Juden ins Gas“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf’ allein!“ oder irgendeine der anderen Hassparolen zu rufen. Das ist vielmehr schlicht ekelhaft, antisemitisch und nicht zu ertragen. Beim ersten Aufruf möchte man jedem der Rufenden eine kostenlose Besichtigungstour nach Auschwitz andienen und beim zweiten Aufruf bin ich geneigt zu erwidern: Menschenverachtende „feige Schweine“ trauen sich nur im Mob auf die Straße. Ich lade jeden der geifernden Horden gerne einzeln zum persönlichen Streitgespräch ein.
Viele deutsche Kritiker Israels – gerade aus dem linken Spektrum – haben sich immer darauf berufen, dass es ja nicht um Kritik an Juden, sondern an der Politik des Staats Israel ginge. Nur: Spätestens wenn bei Demonstrationen als Ziele von vermeintlicher Kritik nicht mehr Israel oder von mir aus auch Netanjahu genannt werden sondern „die Juden“ ist das banaler Antisemitismus und eben keine Kritik an Israel. Die Vermengung von beidem, wie sie von Sabine Rau in ihrem Kommentar in der ARD wohl am Deutlichsten ist, macht Journalisten zu Mitbrüllern, die auf fast perfidere Art und Weise den Antisemitismus salonfähig machen:
Sabine Rau verdammt im ersten Teil ihres Kommentars den Antisemitismus, um im zweiten Teil zu erklären, dass es aber nur verständlich und selbst durch die (im Subtext mitschwingend: „jüdische“) Regierung Israels und ihre Siedlungspolitik zu verantworten sei. Diese indirekte und nachgeschobene Rechtfertigung für offenen Antisemitismus ist keines Mediums in Deutschland würdig, sondern sollte der ARD und dem WDR vielmehr peinlich sein.
Ja, auch ich finde die Siedlungspolitik Israels vollkommen falsch. Ja, auch mich hat furchtbar genervt, als bei den Liberalen durch die israelische Botschaft einmal eine Streitveranstaltung Iran/Israel unterbunden wurde. Ja, auch ich finde manchen Hardliner im israelischen Kabinett manchmal höflich gesprochen anachronistisch anmutend. Aber nein, all dies kann nicht und in keinster* Weise irgendeinen der Ausfälle und Angriffe bei Demonstrationen in Europa entschuldigen oder auch nur erklären. Wenn Journalisten im ZDF Morgenmagazin einem menschenverachtenden Antisemiten wie Todenhöfer, der seine Fotos selbst mitten im Krisengebiet noch von Hand fälscht, ein Forum geben; wenn Dunja Hayali keine einzige kritische Nachfrage mehr in Interviews mit palästinensischen Vertretern stellt; wenn man in keinem öffentlich rechtlichen Sender hören konnte, dass rechte und linke Horden, gemeinsam mit arabischen Pro-Palästina-Gruppen Sprüche wie „Juden ins Gas“ brüllen, dann machen ARD und ZDF dem Antisemitismus den Hof. Das ist weder ausgewogen in der Berichterstattung, noch für einen Kommentar akzeptabel, sondern peinlich.
Dass im Internet irgendwelche obskuren Karten kursieren, ist eine Sache (eine korrektere Ansicht gibt es hier). Aber die Einseitigkeit der Medien aktuell ist eine andere. Meine persönliche Sicht der Dinge zur Israel-Gaza-Krise 2014 deshalb (empfehle übrigens auch das aktuelle Interview mit dem Leiter des FNF-Büros vor Ort):
Dass aus dem Gaza-Streifen noch immer Raketen auf Israel geschossen werden, spielt medial ebenso wenig eine Rolle wie die einseitig begonnene Waffenruhe Israels oder der in Diskussion befindliche neue Friedensvorstöße. Die Regierung Netanjahu hat manchen Fehler gemacht. Aber sich selbst zu verteidigen, ist keiner davon. Um das ganze Mal auf Deutschland zu übertragen: Wenn aus Potsdam auf Berlin oder aus Offenbach auf Frankfurt Raketen abgeschossen würden, erwartet auch niemand, dass man in der jeweils bombardierten Stadt einfach zuschauen würde, weil man ja einen funktionierenden Raketenschutzschirm hätte. Das von Israel zu erwarten ist weltfremd.
Jedes zivile Opfer in einem Krieg ist furchtbar und natürlich muss auch das israelische Militär sich kritischen Fragen zu seiner Kriegsführung stellen. Aber menschenverachtender ist für mich die Hamas, die die Bevölkerung des Gaza-Streifens in Gänze als menschliche Schutzschirme missbraucht, in dem sie zum Beispiel Raketen in Schulen lagert. Gleichwohl ist Israel natürlich gefragt, jeden einzelnen Vorfall, den es gegeben hat zu untersuchen und sicherzustellen, dass so wenig Zivilisten wie in einem Krieg möglich, verletzt oder getötet werden. Ich zweifele aber, dass die Hamas bei ihren Raketenangriffen, wenn sie durchkommen würden, wirklich immer nur Kasernen getroffen hätte.
Liebe Medien, liebe Demonstranten,
wer es nicht sinnvoller mal wirklich sachlich an die Situation heranzugehen? Denn – wie das Bild unseres Astronauten Alexander Gerst aus dem Weltall zeigt – man sieht von oben nur die Explosionen. Nicht, wer abgeschossen hat. Jede Rakete ist eine zu viel. Einseitiges Anheizen von Antisemitismus verstärkt dieses Problem aber, anstatt es zu lösen. Und das sollte traurig machen und zwar alle Seiten.
Mein traurigstes Foto: von der #ISS aus sehen wir Explosionen und Raketen über #Gaza und #Israel pic.twitter.com/xRERusouyk
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) July 23, 2014
* Für diejenigen, die auf sprachliche korrekte Formulierung bestehen: keiner.
Letzte Ratgeber zur Europawahl
Morgen findet ja die Europawahl statt und heute möchte ich an dieser Stelle unentschlossenen noch zwei Ratgeber mit auf den Weg geben:
Einerseits dürfte der Wahl-O-Mat zur Europawahl vielen bekannt sein und gerade auch für diejenigen in Deutschland hilfreich sein.
Letzte Woche neu entdeckt habe ich „MeineWahl2014“, ein Tool, dass die eigenen Prioritäten mit denen der einzelnen Abgeordneten vergleicht. Gab bei mir überraschende Ergebnisse (Liberale zwar vorne aber innerhalb der FDP sehr gemischt).
Hier für jeden zum Mitmachen in meine Seite integriert:
Man kuschelt nicht mit Despoten
Der sonst eher marktwirtschaftlich geprägte Ulf Poschardt hat heutmorgen in der Welt seine menschelnde Seite gezeigt, als er – ganz den Ärzten mit „Schrei nach Liebe“ folgend – quasi „free hugs“, also kostenlose Umarmungen für Wladimir Putin gefordert hat. Er liegt damit falsch. Die Welt in der Ukraine ist zwar nicht so klar schwarz/weiß, wie viele deutsche Medien es uns weiß machen wollen, aber das Verhalten von Wladimir Putin erinnert doch erheblich mehr an sowjetische oder nationalsozialistische Einmärsche, denn an ein einen hilflosen kleinen Jungen, der sich nach der Liebe des Westens sehnt.
Oppositionsparteien in der Ukraine nur unwesentlich besser als Janukowitsch
Aber von Anfang an: Europa und die USA haben es sich zuerst mit dem einseitigen Hochjubeln der ukrainischen Opposition – damit meine ich übrigens nicht die Demonstranten auf dem Maidan, sondern vielmehr die bisherigen politischen Parteien – zu leicht gemacht. Wohl am Unbelasteten, aber leider auch politisch am Unbeschlagensten dürfte noch Klitschko sein. Aber wenn der Tweet von Marina Weisband stimmt, dann wird er schlicht nicht komplett ernstgenommen vor Ort.
Klitschko wurde im Westen zu einer Erlösergestalt hochstilisiert, als die er in der Ukraine nicht gilt.
— Marina Weisband (@Afelia) 24. Januar 2014
Gerade Julia Timoshenko hingegen ist selbst nun wahrlich über genügend Korruptionsaffären und Verfolgungen Andersdenkender gestolpert, um sie zur Heilsbringerin zu stilisieren. Deshalb trifft es wohl die Aussage eines liberalen Journalisten:
„Many of us are sincerely happy, that Yulia Tymoshenko is no longer in jail. But let’s be honest with ourselves: those who wish to see her back in politics are not many.”
Schlussendlich waren es Julia Timoschenko und Wictor Juschtschenko, die mit ihren Affären und ihrer Fehde nicht nur die Demokratie in der Ukraine in eine Krise gestürzt haben, sondern auch das Wiedererstarken Janukowitschs und seine demokratische Wahl erst ermöglicht haben. Denn, auch wenn Janukowitsch nach allen Bildern und Berichten weit über die Grenzen dessen gegangen ist, was ein Demokrat tun darf, war er demokratisch gewählt. Doch gerade diese Grenzüberschreitung im Amt, der Ausbau der eigenen Rechte, die weitere Spaltung des Landes durch die harsche Abkehr von Europa, das Niederknüppeln und Erschießen der Demonstranten sorgten erst für die Notwendigkeit der Revolution, deren demokratische Kräfte es deshalb zu unterstützen gilt und galt.
Ob es klug seitens der Revolutionäre war, mit Vorstößen wie der geplanten Abschaffung der russischen Sprache als Landessprache den Spaltpilz zu düngen, darf wohl bezweifelt werden.
Grundprobleme der Sowjet-Republiken: Willkürliche Grenzen
Sachlich vorangestellt: Eines der Grundprobleme vieler heutiger territorialer Probleme auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR ist ohne Zweifel die vollkommen willkürliche Grenzziehung der wechselnden Diktatoren der Sowjetunion. Genau wie beim Georgien-Krieg, insbesondere mit Blick auf Abchasien, Stalins Erweiterung der Georgischen Sowjet-Republik eines der Kernprobleme war, ist es heute in der Ukraine Kruschtschows Zuordnung der historisch russischen Krim an die die Ukraine.
An dieser Stelle sei übrigens ein Blick in den Atlas empfohlen und nicht auf die aktuell in den Medien kursierenden Karten: Die Krim hat geographisch bis auf einige dünne Landbrücken kaum mehr wirkliche Landübergänge zur Ukraine wie zur russischen Küste des Schwarzen Meers. Auf manchen Karten in den Medien erhält man da aktuell einen anderen Eindruck.
Krim-Krieg reloaded?
Unabhängig von all diesen Fragen, bleibt die Frage, was heute auf der Krim und in den südöstlichen Teilen der Ukraine geschieht und wie Europa damit umgehen sollte.
Für mich steht vollkommen außer Frage, dass es sich – anders als Gerhard Schröder – um ein völkerrechtswidriges Vorgehen Russlands in der Ukraine handelt. Denn auch wenn die russischen Soldaten keine Hoheitszeichen tragen, bleiben es doch russische Soldaten. Selbst wenn Putin selbst heute keinen Bedarf für russische Truppen in der Ukraine sieht, sind sie eben real – ohne Hoheitszeichen – schon da.
Dazu kann man sich die Aussage von Ludwig von Mises nur unterstreichen:
„Noch ärger ist das Missverständnis, wenn man das Selbstbestimmungsrecht als ‚Selbstbestimmungsrecht der Nationen‘ gar dahin verstanden hat, dass es einem Nationalstaate das Recht gebe, Teile der Nation, die einem anderen Staatsgebiet angehören, wider ihren Willen aus ihrem Staatsverband loszulösen und dem eigenen Staat einzuverleiben.“
Aber was sind die Konsequenzen daraus?
Der erhobene Zeigefinger der Absage des G8-Gipfels, noch dazu mit angezogener deutsch-französischer Handbremse, kann nicht ernsthaft die einzige Reaktion der Europäischen Union bleiben. Einmal mehr zeigt sich, dass das Stimmengewirr der europäischen Außenpolitik nicht gerade hilfreich ist. Auch wenn Sanktionen schlicht wegen des Vetorechts Russlands nie durch den UN-Sicherheitsrat kommen werden, müssen sie doch Realität werden. Dass der Markt durch seine eigenen Kräfte real bereits Sanktionen schafft, ist ein mehr als positives Zeichen, reicht aber nicht aus. Es zeigt aber, dass dies möglich wäre. Insbesondere mit Blick auf die wohl ohnehin sehr niedrige Akzeptanz des russischen Vorgehens auf der Krim könnten Sanktionen den Druck deutlich erhöhen.
Der Spitzenkandidat der Liberalen zur Europawahl Alexander Graf Lambsdorff hatte in einem ersten Statement hervorgehoben, dass es für ihn keine militärische Option geben können, da dies sonst Krieg in Europa hieße. Diese Aussage halte ich für falsch bis gefährlich: Natürlich darf eine militärische Option nie die erste Wahl sein. Aber sie gänzlich vom Tisch zu nehmen und mit den Despoten nur á la Neville Chamberlain zu kuscheln hat sich in der Vergangenheit nicht gerade bewährt. Außerdem haben unsere Verbündeten USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine im Gegenzug dafür, dass sie keine Atomwaffen behält, ein Schutzversprechen abgegeben. Ansonsten droht uns als Kollateralschaden ein nukleares Aufrüsten, da offensichtlich Schutzversprechungen nicht so wirklich viel wert sind. Keine schöne Vorstellung. Mit seinem neueren Statement hat Alexander Graf Lambsdorff seine Position zur Ukraine wieder etwas gerader gerückt.
Habe ich Sorgen wegen der Gefahr einer militärischen Intervention? Natürlich. Gewaltige sogar. Sie darf nur allerletzte Möglichkeit sein, aber sie ganz auszuschließen bleibt falsch.
Am Ende bleibt für mich: Europa muss gemeinsam mit den USA verhandeln, aber eben auch handeln. Bei allem Verständnis für den Phantomschmerz eines verlorenen Sowjetreiches können wir nicht (erneut) dulden, dass Russland demokratische Staaten teilweise überrennt. Gleichzeitig muss die neue ukrainische Führung Schritte zur Einheit des Landes gehen und das Provozieren der östlichen Ukraine, die nun einmal stärker pro-russisch geprägt ist und auch sein wird, ist nicht hilfreich. Deshalb scheint mir eine klar föderale Ukraine, mit Toleranz zu Entwicklungen sowohl zu Russland als auch zur EU hin, der einzige Weg. Nur diesen Weg einschlagen, können nicht wir. Wir können nur handeln und helfen. Aber eben nicht nur umarmen, sondern auch deutliche Worte und Reaktionen finden.
Und allen die sich auf die Rede von Putin vor dem Bundestag im Jahr 2001 berufen, sei diese nur zitiert:
„Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat.“
Das darf man nach den letzten Wochen getrost bezweifeln. Ich tue es zumindest und gegen Okkupationsideologien helfen keine Umarmungen. Das sollte gerade für uns Deutsche eine tragisch gelernte Lektion des 20. Jahrhunderts sein.
Frei und mit neuem Schwung
Ideen für die Arbeit der FDP Hessen
Bei unserem Landesparteitag in Gießen haben wir Fehler analysiert und Stefan Ruppert hat danach bereits als Kandidat für den FDP-Landesvorsitz einige Ideen skizziert. In Bad Soden gilt es, einen Neuanfang nicht nur auf dem Papier zu starten, sondern auch inhaltlich, strukturell und öffentlich zu untermauern.
Hierbei möchte ich als neuer stellvertretender Landesvorsitzender mitarbeiten und meine Ideen skizzieren. Kernaufgabe für uns Liberale sollte es sein, dass jeder – egal ob jung oder alt –, für den Freiheit ein wichtiges Thema ist, die FDP auch wieder als seinen oder ihren Ansprechpartner in der Politik sieht.
Zukunftsthemen neu erobern
Die FDP im Bund wie in Hessen war sich in den letzten Jahren häufig selbst genug. Seit den harten Diskussionen um Online-Durchsuchungen, Studiengebühren oder die Kinderschule – also seit fünf bis zehn Jahren – haben wir Liberalen kaum grundlegend neue Ideen entwickelt. Das muss sich wieder ändern. Hier sind alle Mitglieder, alle Delegierten und die gesamte Führung gefragt. Das Beispiel Kinderschule zeigt aber auch, dass Projekte immer wieder auf ihre Umsetzbarkeit überprüft werden müssen. Dies darf jedoch nicht den kreativen Prozess zur Entwicklung neuer Ideen unterbinden.
Meine Themen, die ich besonders bearbeiten möchte, weil sie meine Herzensthemen sind, sind Bildung, Infrastruktur & Innovation und Europa. Was können wir Liberalen zum Beispiel von der Aufsteigernation Polen in der Bildungspolitik – insbesondere was die Selbstständigkeit und die Freiheiten von Schulen angeht, bei der unsere Kultusministerinnen schon viel bewegt haben – lernen? Wie können wir die Qualität des Unterrichts verbessern? Wie gelingt es uns, digitale (und analoge) Infrastruktur in ganz Hessen zu schaffen? Welche Folgen hat der demographische Wandel aus liberaler Sicht für den ländlichen Raum? Wie kriegen wir die Nadelöhre des Verkehrs in unserer Logistikregion Hessen geöffnet? Wie schaffen wir es, Europa schlanker und attraktiver werden zu lassen? Welche Ziele haben hessische Liberale für unsere Region im Herzen Europas?
Das sind alles Fragen, die mich beschäftigen. Um diese und anderen Themen effektiv bearben zu können, müssen wir Strukturen der inhaltlichen Arbeit verändern: Wir müssen die Landesfachausschüsse besser verzahnen und für alle interessierten Mitglieder öffnen. Thematische Anregungen für die Parteiführung und die Fraktion sind gerade in Zeiten einer kleinen Fraktion für die inhaltliche Arbeit sinnvoll. Jeder Landesfachausschuss sollte es zum Ziel haben, mindestens einmal im Jahr einen Antrag im Landesparteitag zu stellen. Gleichzeitig muss auch der generelle Zuschnitt der Landesfachausschüsse diskutiert werden. Im kommenden Jahr sollten wir eine Diskussion darüber führen, an welchen Stellen es sinnvoll ist, Fachausschüsse zusammenzulegen oder zu trennen. Temporäre Intensivarbeitsgruppen für Querschnittsthemen, wie sie von unserer Bundesgeneralsekretärin angeregt werden, können eine sinnvolle Ergänzung sein.
Regelmäßige Treffen der Programmatiker in Präsidium und Landesvorstand mit den Landesfachausschussvorsitzenden sowie den Vorfeldorganisationen sind wichtig und sollten mindestens jährlich stattfinden. Gerade mit den Vorfeldorganisationen können hieraus auch Kooperationen im Bereich der Außenwirkung Vorteile ermöglichen.
Darüber hinaus sind auch die Strukturen oberhalb der Landesebene zu berücksichtigen.
Klar ist für mich, dass Leitanträge mit Ausnahme von Reaktionen auf unvorhergesehene Ereignisse immer mit dem regulären Antragsbuch versandt werden sollten und kompakt (idealerweise nicht mehr als 3-5 Seiten) sein sollten. Um thematische Diskussionen mit den Fachausschüssen und deren Einbeziehung zu erleichtern, sollten Leitthemen möglichst für das Jahr vorab festgelegt werden. Natürlich können trotzdem Fälle eintreten, in denen akute Themen diese Agenda kurzfristig verändern, aber als Richtschnur erscheint dies hilfreich.
Strukturen modernisieren
Als ich vor vierzehn Jahren Mitglied der FDP Hessen wurde, waren die Antragsbücher selten mit weniger als zehn bis fünfzehn Anträgen gefüllt. Dies hat sich leider geändert, was an der Attraktivität von Parteitagen nagt. Der Frage, ob zuerst die Parteiführung und die Fraktion die Beschlüsse weniger berücksichtigt haben oder zuerst die Delegierten und Verbände weniger Anträge gestellt haben, wird man nie Klärung verschaffen können. Wichtig ist jetzt, beides zu ändern:
Um die Bedeutung der Parteitage sichtbarer zu machen, sollte auf www.fdp-hessen.de eine strukturierte Beschlusslage aller Parteitagsbeschlüsse sichtbar werden, diese Beschlüsse vom Landesvorstand noch einmal thematisiert und über deren Umsetzung dem nächsten Landesparteitag berichtet werden.
Leichtere Strukturen zur direkten Einbringung auf allen Ebenen sollten auch in Hessen diskutiert werden, dieses Feld ist aus meiner Sicht eine der zentralen Aufgaben für einen einzuführenden Generalsekretär. Auch Überlegungen, gebündelte Mitgliederentscheide einmal Jährlich stattfinden zu lassen, Urwahlen für Spitzenkandidaturen zu diskutieren, Funktionsträgerschulungen anzubieten oder Argumentationshilfen zu verfassen sind hier diskussionswürdige Punkte.
Überzeugt bin ich, dass seitens der Landesebene weniger Druck durch Formalia auf die Untergliederungen ausgeübt werden sollte, sondern stattdessen die Landesgeschäftsstelle und die Fraktion kampagnenfähiger Dienstleister beziehungsweise inhaltlicher Ratgeber für die FDP-Untergliederungen sein soll. Falls nötig, müssen hierfür auch Strukturen für weniger Administration und mehr Gestaltung angepasst werden.
Die Öffnung für moderne Kommunikationsformen bei Veranstaltungen durch Live-Streams und echten Dialog auf Twitter und Facebook sowie die Nutzung zum Beispiel von YouTube ist für mich unerlässlich für die Arbeit der hessischen Liberalen.
Um diese Ziele auch in der Vorstandsarbeit zu erreichen, benötigt der Landesvorstand strukturierte Sitzungen mit einer „echten“ Tagesordnung statt der ewigen „politischen Aussprachen“. Der Landesvorstand muss sich selbst als Arbeitsgremium begreifen: Jedes Vorstandsmitglied sollte Aufgaben fest zugewiesen bekommen und Betreuungsgebiete (außerhalb des eigenen Kreisverbands) übernehmen. Mindestens das Landespräsidium, idealerweise der gesamte Landesvorstand, sollte schriftlich auch dem Parteitag alle zwei Jahre Rechenschaft ablegen.
Klare Führungsstrukturen beinhalten auch Führungsentscheidungen durch das Landespräsidium sowie bei wichtigeren Fragen durch den Landesvorstand und bei grundsätzlicheren Fragen durch den Landesparteitag. Dafür bedarf es mehr Sitzungen des Landespräsidiums als des Landesvorstands sowie zusätzlich Telefonkonferenzen, um gerade ehrenamtliche Mitarbeiter nicht zu überlasten. All diese Sitzungen haben sich auf die Arbeitszeiten der Bevölkerung und nicht der Abgeordneten auszurichten.
Die Einführung eines Ombudsmitglieds im Vorstand (später auch vom Parteitag gewählt) analog des Ombudsmitglieds als Anwalt der Basis und Ansprechpartner bei Konflikten und Problemen in der Partei gehört zu modernen Strukturen ebenso wie der Dialog vor Ort:
Deshalb sollte in jedem Bezirk der FDP einmal im Jahr der Landesvorstand tagen und an diesen fünf Sitzungen sollen auch alle Mitglieder zu einer offenen Diskussionsrunde im Anschluss eingeladen werden.
Mitmachpartei in Hessen werden
Mitglieder, die aus den Jungen Liberalen stammen, wissen, dass es hier weitaus mehr Angebote sowohl für Mitglieder als auch für Externe gibt als häufig in der FDP. Um attraktiv zu sein, sollte intern wie extern der Dialog ausgebaut werden:
Testweise sollte im Jahr 2014 ein programmatisches Wochenende der FDP Hessen eingeführt werden, bei dem verschiedene Themen breiter und nicht nur von Funktionsträgern diskutiert werden können.
Jeder Landesfachausschuss sollte idealerweise einmal jährlich eine öffentliche Diskussionsveranstaltung, Informationsreise oder Online-Konferenz durchführen, um Mitgliedern, die noch nicht zum Stamm eines Fachausschusses gehören, einen leichteren Einstieg zu ermöglichen. Diese Veranstaltungen sollen in allen Bezirken stattfinden. Jede Landesfachausschusssitzung sollte aber generell mitgliederöffentlich sein.
Bestehende Veranstaltungen, wie die Landesparteitage, sollen um ein attraktives Rahmenprogramm erweitertet werden, von Neumitgliedertreffen, über thematische Treffen ist vieles denkbar. Gerade bei bestehenden Veranstaltungen sollte auch eine Evaluation über die Wahrnehmung der Teilnehmer erfolgen.
Durch die Öffnung interessanter Veranstaltungen für Online-Besucher – mit Interaktion soweit möglich – kann ein breiteres Publikum angesprochen werden.
Darüber hinaus sollten sowohl lokal als auch überregional Multiplikatoren angesprochen werden. Für die Untergliederungen sind hierfür Unterstützungen durch die Landesebene sinnvoll. Aber auch für die Landesebene sind neue Ansprechpartner wichtig: Die FDP muss neben Wirtschaftsverbänden auch den Kontakt zu Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und anderen Organisationen suchen.
Sowohl klassische Medien als auch neue Medien sollten von Liberalen ernst genommen und als Dialogpartner auf Augenhöhe gesehen werden: Wenn schon Gespräche mit einem vermeintlichen Kritiker kritisch gesehen werden, schadet das der Liberalen Außenwahrnehmung. Für diesen Dialog müssen wir auch neue Veranstaltungsformate entwickeln.
Die beste Werbung für die Freiheit und die Freiheitspartei FDP sind unsere Mitglieder, deshalb sollten wir diese und ihre Vielfalt auch gezielt nutzen und auf Homepage, im Mitgliedermagazin, dass auch stärker für die Mitglieder als Autoren und für kontroverse Themen geöffnet werden sollte, sowie auf unseren Werbemitteln sichtbar werden lassen. Gerade auch den Vorfeldorganisationen kommt Bedeutung zu, Interessierte an Politik heranzuführen und neue Themen zu diskutieren.
Liberale koalieren in erster Linie mit den Bürgerinnen und Bürgern, um unsere Ziele umzusetzen. Da absolute Mehrheiten für die FDP kurzfristig eher unwahrscheinlich erscheinen, sind hierfür Gespräche mit anderen Parteien nötig. Für mich gibt es dabei keinen Unterschied zwischen Grünen, SPD und CDU als politischen Mitbewerbern. Gespräche sollten mit allen geführt werden, Grundskepsis gegenüber allen bleiben, aber ein Dialog in vertrauensvoller Sacharbeit ist mit allen drei Parteien möglich.
Gute Bildung – gegen den Glaubenskrieg und für #Freiheit der Schulen
Eine Gesellschaft, in der jeder alles, was seinen Fähigkeiten entspricht, erreichen kann. Das ist für mich als Liberalen das A und O von Chancengerechtigkeit und deshalb ist Bildung mein Herzensthema:
Wir wollen keine Gleichmacherei, sondern Vielfalt: Für den einen kann das duale Berufsbildungssystem die besten Ergebnisse liefern, manche anderer erzielt in einem grundständigen Gymnasium die besten Lernerfolge und wieder andere schaffen nach der Förderschule den Hauptschulabschluss und für manchen ist eine integrierte Gesamtschule einfach der Ort, der Chancen eröffnet. Wichtig ist dabei, dass jeder für seine Fähigkeiten die bestmögliche Unterstützung durch das Schulsystem erhält. Deshalb will ich nicht, dass wir uns in den ewig gestrigen Grabenkampf von Union auf der einen und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite stürzen, dessen Ergebnis nur entweder das dreigliedrige Schulsystem oder Gesamtschulen sein sollen..
Die Vielfalt der Schulsysteme, wie wir sie in Hessen haben, ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Denn ich habe selbst erlebt, wie ein junges Mädchen, das in der dritten Klasse aus der Türkei nach Deutschland gekommen ist, die Chancen einer Gesamtschule so erfolgreich genutzt hat, dass sie am Ende ein besseres Abitur gemacht hat als ich. Ich habe aber auch gesehen, wie für manch anderen der eher gezieltere Rahmen und das homogenere Schulgeflecht eines Gymnasiums das richtige Lernumfeld waren, um das Abitur zu schaffen.
Für mich heißt es deshalb: Wir sollten die Schulen möglichst gut ausstatten, ihnen Freiheiten geben – wie wir es in Hessen mit der selbstständigen Schule gemacht haben – und dann dafür sorgen, dass jedes Kind in der Nähe ein entsprechendes Angebot findet, damit Kind und Eltern gemeinsam die richtige Schulform wählen können.
Aber was heißt gute Ausstattung und wer steht dafür?
Als Referenzwert kann die letzte Debatte des Hessischen Landtages vor den Wahlen gelten. Die Unionsfraktion hat dabei deutlich hervorgehoben, was den Unterschied zwischen einer schwarz-gelben Regierung mit einer FDP-Kultusministerin und einer rot-grünen Regierung macht:
In Hessen haben wir 105% Lehrerversorgung. Das bedeutet 5% mehr Lehrer als gehaltene Unterrichtsstunden, rund 10% mehr als in den rot-grünen Ländern (Rheinland-Pfalz 95%, NRW 95 %, Berlin 96 %, Bremen 92 %, Schleswig-Holstein 94 %).
Bei den Lehrerstellen sieht es nicht anders aus: In Rheinland-Pfalz wurden 2.000, in NRW 500, in Baden-Württemberg 11.600, in Niedersachsen 300, in Bremen 50, in Brandenburg 1.000 und in Schleswig-Holstein 3.500 Stellen abgebaut – also von rot-grünen Landesregierungen insgesamt 18.000. . Das Geld hat man in Niedersachsen wohl lieber verwendet, um die Staatskanzlei aufzustocken und für den Grünen Staatssekretär einen Audi A8 als Dienstwagen zu beschaffen, weil ihm, der A6 nicht reichte. Allein in Bayern und Hessen wurden von schwarz-gelben Landesregierungen in den letzten Jahren 14.000 Lehrerstellen geschaffen.
Wir sollten nicht den Grabenkampf führen, sondern stattdessen deutlich machen, dass gute Bildung etwas mit der Ausstattung der Schulen zu tun hat: Deshalb kämpfe ich für gute Bildung und für Aufstiegschancen. Das und mehr #Freiheit in der Bildungspolitik gibt es mit der FDP!