Zwei große Menschen

Die Nachricht vom Tod von Hans-Dietrich Genscher bringt mich dazu, über zwei Außenminister von Format, aber vor allem zwei große Menschen zu schreiben.

Ich hatte die Ehre, mich mit Guido Westerwelle insbesondere in den ersten Jahren als JuLi-Bundesvorsitzender regelmäßig auszutauschen.  Hans-Dietrich Genscher aber  ist derjenige, der mich erbleichen ließ, wie kein anderer. Dazu später mehr im Text.

Guido Westerwelle

Es wäre gelogen zu sagen, dass Guido Westerwelle und ich immer einer Meinung gewesen wären und ich ihn immer schon bewundert hätte. Aber es gibt wenige Menschen, vor denen ich einen solchen politischen Respekt hatte und von dem man so viel lernen konnte – und nicht nur politisch sondern auch menschlich.

Ich erinnere mich noch an meine allererste persönliche Begegnung mit Guido Westerwelle bei einem Fototermin am Rande einer Wahlkampfkonferenz der Bundestagswahl 2002. Hochnervös neben Guido Westerwelle für ein kurzes Foto  stehend, gab er mir dann wirklich herzlich ein oder zwei schnelle Ratschläge zu Pressefotos – die ich übrigens bis heute berücksichtige – und nahm mir so schnell die Nervosität. Die Motivation und das Fieber – im positiven wie im negativen Sinn – des Projekts 18 hat die FDP modernisiert und angetrieben wie wenige andere Dinge, die ich später in der Politik erlebt habe. Leider war es dabei manchmal so viel, dass hinterher auch die guten Dinge der Kampagne, wie die Selbstständigkeit der FDP und das Selbstbewusstsein zurückzugehen schien.

Jahre später als JuLi-Bundesvorsitzender durfte ich mich dann im Auswärtigen Amt, wie auch im Thomas-Dehler-Haus regelmäßig  mit ihm austauschen und habe viele seiner Ratschläge sehr gerne aufgenommen. Er war mit Sicherheit der lauteste Ratgeber dafür, dass ich auf jeden Fall darauf achten sollte, meine Promotion abzuschließen und zu arbeiten.

Was für mich den großen Menschen Guido Westerwelle aber am Sichtbarsten gemacht hat, war der Umgang mit seinen Mitarbeitern – oder genauer – mit seinen Personenschützern. Es gab immer wieder Gespräche des JuLi-Bundesvorstands mit dem FDP-Bundesvorsitzenden (und auch mit anderen Personen, aber das ist nur für den Vergleich wichtig) – üblicherweise bei einem guten Italiener in Berlin. Während bei anderen Gesprächspartnern in der Vorbereitung eher technisch mit Büros ein Essen abgestimmt wurde, war dem Genussmenschen Guido Westerwelle einerseits die Auswahl des Italieners sehr wichtig und andererseits war er der einzige Gesprächspartner, der selbst wirklich immer  Mal nachfragte, dass  auf jeden Fall ein Tisch für seine Personenschützer reserviert sein müsse, damit diese auch in Ruhe und genussvoll essen können. Noch deutlicher wurde der menschliche Umgang Guido Westerwelles beim Sommerfest der JuLis im Jahr 2012. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie unser Gast Guido Westerwelle, der sonst immer lange blieb, sehr früh sagte: „Herr Becker, entschuldigen Sie, ich muss jetzt heim. Heute ist das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft. Ich muss das zwar nicht sehen, aber nur, wenn ich eine halbe Stunde vorher sicher in meiner Wohnung bin und genickt habe, dass ich nicht mehr rausgehe, können meine Personenschützer das Spiel sehen.“

Gerade diese Empathie macht es für mich umso schmerzhafter, dass ich weiß, dass wir – auch ich – ihn bei seinem Ausscheiden aus dem FDP-Bundesvorsitz verletzt haben. Weniger mit Kritik in der Sache – ich erinnere mich noch sehr gut an sein herzliches Lachen beim Bundeskongress in Jena, als wir kritisiert hatten, dass die Partei aus „Guido Westerwelle, Guido Westerwelle, Guido Westerwelle und Sky du Mont“ in der öffentlichen Wahrnehmung bestünde, sondern in Form und Zeitpunkt mancher Kommunikation. Ich versuche, aus dieser Erkenntnis zu lernen, auch wenn ich weiß, dass sich manche Verletzungen wohl in der Politik nicht vermeiden lassen.

Politisch der prägendste Moment – der auch beide Außenminister betraf – war in meiner Zeit als JuLi-Bundesvorsitzender eindeutig der FDP-Mitgliederentscheid. Der Morgen danach, als der Rauch sich verzog und ein Ergebnis da war, war ein Moment ehrlicher Erleichterung. Ich zumindest hatte Angst, was mit Europa passiert wäre, wenn der Mitgliederentscheid anders ausgegangen wäre. Selten ist mir die Tragweite politischen Handelns – in dem Moment übrigens auch in der Jugendorganisation- deutlicher geworden. Die Erleichterung konnte man an diesem Morgen im Thomas-Dehler-Haus auch Guido Westerwelle anmerken. Im Nachhinein konnte man darüber schmunzeln, aber an diesen Tagen war es erleichternd und bedrückend, von ihm zu hören, was die vom Auswärtigen Amt erwarteten Auswirkungen zum Beispiel auf die Börsen – im Falle eines anderen Ergebnisses – gewesen wären . Und der Mitgliederentscheid der FDP wäre nicht so ausgegangen, wenn nicht viele in dieser Partei – allen voran der Außenminister Guido Westerwelle – ihr Gewicht in die Waagschale geworfen hätten. Man kann immer über Details einer Politik streiten und wird nie in allen Punkten einer Meinung sein, aber Guido Westerwelle war ein großer und überzeugter Europäer.

Hans-Dietrich Genscher

Dieses Europa, für das Guido Westerwelle kämpfte, hat maßgeblich Hans-Dietrich Genscher geformt. Hans-Dietrich Genscher war mehr als ein Politiker, er war ein Staatsmann und er war – auch wenn er die Aussage selbst wohl gehasst hätte – wandelnde Geschichte.

Als neues FDP-Mitglied durfte ich kurz nach meinem Eintritt im Jahr 2000 eine Einladung zu einer Jubiläumsveranstaltung für die 2+4-Verträge mit Genscher und anderen internationalen Gästen – ich meine den anderen damaligen Außenministern – in Berlin teilnehmen. Schon da war Genscher legendär. Meine allerersten politischen Erinnerungen sind der Fall der Mauer und auf ewig wird dies mit Hans-Dietrich Genscher und natürlich Helmuth Kohl verknüpft sein.

Auch nach Jahren politischer Debatten war ich höllisch nervös, als ich beim Bundeskongress in Köln etwas in der Aussprache zu Genscher gesagt habe – wenn ich mich recht erinnere mit Lob für ihn und Kritik an der damaligen außenpolitischen Ausrichtung der FDP.

Und so war es auch Hans-Dietrich Genscher, der mich in einem Café in Berlin erbleichen ließ: Wir JuLis hatten ein Strategiepapier an den gesamten FDP-Bundesvorstand verschicken lassen. Mir war nicht klar, dass dieser Verteiler natürlich auch das Büro des Ehrenvorsitzenden umfasste. Eines Morgens frühstückte ich mit einer guten Freundin in einem Café in Berlin und hatte eigentlich zugesagt, nicht ans Handy zu gehen. Es klingelte eine nordrhein-westfälische, ich meine Bonner, Nummer während wir dort saßen. Mit dem Kommentar „Sicher irgendein Journalist.“ drückte ich die Nummer weg. Zehn Sekunden später, gleiche Nummer. Wieder weggedrückt. Weitere 10 Sekunden später dritter Anruf. Mit dem Kommentar „Sekunde, ich geh kurz dran und sag, dass ich gerade nicht kann.“ Die anschließenden Momente werden von der Freundin genau wie vom Kellner wie folgt beschrieben: Mein Gesicht wird aschfahl, ich sage: „Ja gerne“, dann knallrot, dann wieder aschfahl, danach folgt die Begrüßung „Guten Morgen, Herr Genscher!“. Danach hatte ich mein erstes längeres Telefonat mit Hans-Dietrich Genscher, der auch im hohen Alter noch über seine Freien Demokraten diskutieren und strategische Meinungen der JuLis hören wollte.

Und er nahm sich Zeit dafür, in seinem Zimmer im Adlon hatte er im Herbst danach eine knappe Stunde für ein persönliches Gespräch zu Europa, der FDP und den JuLis avisiert. Als wir dann ins Gespräch kamen, hat das Gespräch fast zweieinhalb Stunden gedauert und wir sind danach gemeinsam zum Geburtstagsempfang von Jörg van Essen in die Parlamentarische Gesellschaft gegangen. Ich habe viel gelernt in diesen zwei Stunden – über Europa genauso,  wie über Deutschland – und konnte sehen, wie die Augen geglüht haben (wie auch Wolfang Schäuble das hervorgehoben hat). Besonders aufgefallen ist mir das an zwei Stellen: Wenn Hans-Dietrich Genscher über Europa gesprochen hat, brannte er noch immer für seine europäische Idee und wenn er über Willy Brandt sehr persönlich gesprochen hat, konnte ich einen Respekt vor einer Person mit all ihren Facetten spüren, wie ich sie selten in der Politik wahrgenommen habe.

Wir sollten Genscher nicht verklären, er war nicht nur (aber eben auch) ein brillanter Außenpolitiker, sondern auch ein extrem guter – vielleicht der beste – Machtpolitiker, den die FDP hatte. Deshalb war ich auch froh, ihn in vielen europapolitischen Debatten und Herausforderungen fest an unserer Seite zu wissen.

Wahrscheinlich hätte er ohne genau dies aber auch nicht eine solche außenpolitische Wirkung entfalten können und zu der wandelnden Geschichte werden können, die ich auf dem Weg zur Parlamentarischen Gesellschaft erleben konnte: Im Regierungsviertel in Berlin herrscht eine gewisse Abstumpfung was hochrangige Politiker auf der Straße angeht. Mit Hans-Dietrich Genscher einige hundert Meter vom Adlon zur Parlamentarischen Gesellschaft zu laufen, zeigte, dass dies nur für Politiker, nicht aber für Staatsmänner und wandelnde Geschichte gilt. Ich habe für diese Distanz  noch nie so lange gebraucht und nicht, weil Hans-Dietrich Genscher langsam gegangen wäre, sondern weil er Hans-Dietrich Genscher war und man keine fünf Meter gehen konnte, ohne dass Menschen ihn ansprachen und er sich –zumindest kurz – auch immer Zeit für diese Menschen nahm.

 

Deutschland hat zwei große Außenminister verloren, die Freien Demokraten haben zwei große Politiker verloren, Europa hat zwei überzeugte Europäer verloren und wir alle haben zwei große Menschen verloren.